Dieses Blog durchsuchen

Samstag, 30. November 2019

Marius Holsts KONGO – Abenteuerspielplatz Afrika

Zwei norwegische, in Afrika für einen Rebellenführer arbeitende Abenteurer und Söldner unternehmen im Kongo für ihren Auftraggeber Spionagetätigkeiten, geraten in Schwierigkeiten, und bei einer Fahrt in den Dschungel wird der kongolesische Fahrer erschossen. Von einem der beiden Norweger, sagen die Behörden. Der Spion sei Opfer eines Hinterhalts der Regierung geworden, sagen die Norweger. Ab sofort sind die beiden Männer Spielball politisch-ökonomischer Interessen des Kongos, werden zu zum Tode verurteilten Geiseln. Am Ende ist einer der beiden während der Haft verstorben, wofür der andere auch noch zu Unrecht bezichtigt wird, und dieser hat dann bei seiner Entlassung 2017 acht Jahre Gefängnis hinter sich.

Das ist in Grundzügen das Geschehen von Marius Holsts MORDENE I KONGO (2018), „Die Morde im Kongo“, der auf den Nordischen Filmtagen Lübeck unter dem einfacheren Titel KONGO lief. Und Joshua French und Tjostolv Moland sind die nicht geänderten Namen der beiden Männer, die sehr überzeugend von Tobias Santelman und Aksel Hennie verkörpert werden. Alles in dem Film ist authentisch und beruht auf Tatsachen. Regisseur Marius Holst hat die beiden im Gefängnis besucht, sie kennengelernt. Die grundlegenden Fakten sind den meisten sicher geläufig in Norwegen, während diese Geschichte zu uns nicht so sehr durchgedrungen ist. Aber das ist sogar eher ein Vorteil, denn jeder Film entwirft so sehr sein eigenes fiktives Universum, dass ständige Vergleiche mit der Wirklichkeit schnell zu einer schiefen Sichtweise führen können. Und Holst hält sich zwar an die Fakten, verfängt sich aber nicht in den Fallstricken der größeren politisch-militärischen Hintergründe. Er interessiert sich nicht im Geringsten dafür, ob der Kampf gegen das Regime im Kongo legitim sein könnte oder nicht. Aber, ganz allgemein gesagt, meist geht es ja bloß um Macht und Geld. Der Rebell von gestern ist der korrupte Diktator von morgen.

Zunächst einmal ist KONGO ein ausgezeichneter und spannender fiktiver Film, der einiges an äußerer Spannung bietet und der beginnt wie viele international angesiedelte Polit-Thriller, Kriegsfilme. Moland kommt per Flugzeug an in Ruanda, wird abgeholt von French, der das Wort bei den Verhandlungen für die Söldnertätigkeit führt, wodurch die Machtverhältnisse zwischen den beiden zunächst geklärt sind. Aber man ist meilenweit entfernt von solchen Action-Söldnerstreifen wie DIE WILDGÄNSE KOMMEN (1978), die einem als Jugendlicher so viel Spaß gemacht haben. Es ist eher deren ernüchternder, moderner Abgesang. Und Marius Holst macht es sich nicht einfach. Keiner der Beteiligten kommt bei ihm unbeschadet davon. Weder die korrupten Institutionen des Kongo noch die naiven Söldner noch die von Norwegen ausgesandten Bürokraten. Es ist ein Gewirr aus oft unübersichtlichem und oft genug absurdem Irrsinn, das der Film ohne falsche Rücksichten ungefiltert darstellt.

Der theatralische kongolesische Schauprozess in der Tradition des Volksgerichtshofes mit einer zur Lynchstimmung aufgepeitschten Menge ist furchteinflößend. Das sich selbst verwaltende, brutale Gefängnis ist halluzinatorisch-klaustrophobisch. Eine der Stärken des Films ist die Atmosphäre. Aber trotz aller Identifikation und Nähe überschreitet Holst nicht die Grenze zur leider so beliebten und so schnell ermüdenden Immersion. Er hält immer noch genug Distanz für eine analytische Betrachtungsweise. Das unterstützt der Stil des Films, der nicht linear, sondern mit Zeitsprüngen, Rückblenden erzählt und, in der Rekonstruktion der beiden Kriminalfälle, potentielle Möglichkeiten nach dem Rashomon-Prinzip präsentiert. Sehr frei geht er mit der Zeit um, aber das passt zum Verlust des Zeitgefühls der Protagonisten und deren zunehmender physischer Lethargie. Jeweils beide bringen einen aussichtsreichen Fluchtversuch nicht zu Ende. Aber Holst bleibt immer fair gegenüber den zwei Männern, die bei so manchem reflexartig politisch korrekte Ablehnung hervorrufen. Am 23.7.2010 berichtete beispielsweise auch die Berliner taz unter dem Titel „Die verrückten Norweger von Kinsai“ über den Prozess, und die Kommentare offenbaren so manches an schablonenhafter, menschenverachtender Selbstgerechtigkeit der Leserklientel.

Doch der schiefe Blick auf Afrika der beiden Norweger wird nach und nach freigelegt. Ihre scheinbare militärische, automatisierte Professionalität erscheint plötzlich wertlos, denn sie haben nicht das große Ganze im Blickfeld. Wie naive Kinder, die Spionage und Soldat spielen. Doch ihr Weg führt sie vom Kriegspielen zum Spielball der zugegebenermaßen unübersichtlichen afrikanischen Politik. Am Ende wird einer der beiden zugestehen, dass sie Afrika nicht gut genug gekannt haben, und das ist tatsächlich ihre Hauptsünde. Dabei hat das Abenteurertum der beiden nichts mit Kolonialismus zu tun. Sie bringen ja keine westlichen Werte mit sich. Ganz im Gegenteil. Afrika ist für die beiden eher eine Art Heilsbringer, wo man scheinbar noch so männlich sein darf, wie man es in der Heimat vermeintlich nicht mehr sein kann. Dass das eine sehr dämliche und naive romantische Vorstellung ist, wie sie viel zu spät erkennen, ist eine andere Sache. Der Kolonialismusvorwurf ist andererseits aber die moralische Erpressungswaffe des Kongos gegen den Westen, um ökonomische Vorteile herauszuschlagen. Die norwegischen Behörden hingegen benehmen sich bis zur Lächerlichkeit korrekt, wo es doch in diesen Ländern nur um das Zahlen von Geld geht. Der ganze Rest drum herum ist bloß Schmierentheater.

Das Gefängnis und der Prozess werden die großen Prüfsteine, an denen sich dann tatsählich ihre Kampfkraft, ihre Intelligenz und ihr Durchhaltewille sowie ihre Freundschaft beweisen müssen. Einzelgänger French, der Anführer mit der großen Klappe, der nie wieder nach Norwegen will, schwächelt. Er ist es, der krank wird, Malaria bekommt, der Situation nicht gewachsen ist, kurz gesagt, der Schwächere ist. Es tritt bei ihm auch eine selbstzerstörerische Ader zutage, wenn er im Prozess provoziert oder sich in der Zelle umbringen will. Moland, der aktiven Familienanschluss in die Heimat hat, schafft es besser, auch wenn er auf Dauer ebenfalls krank wird. Und direkt bewundernswert ist es, dass er nicht unterschreiben will, dass sein Freund ein Mörder sei, auch wenn er dadurch freikäme. Am Ende verengt sich der Film auf dieses eine Thema: die Geschichte eines Einzelnen, der in einer Umgebung des zerstörerischen Wahnsinns seinen Verstand, sozusagen in der Hölle seine Seele behalten will. Er ist stolz auf sein Hillbilly-Außenseitertum, das die Lebenswelt der städtischen Eliten nicht begreift, weshalb es auch kaum eine Kommunikationsbasis zwischen ihm und einer abgesandten norwegischen Beamtin gibt.

Und so verschieden die Filme von Marius Holst auch sind, geht es doch immer wieder um Freundschaft, Außenseitertum, Loyalität und das Finden des eigenen Weges fern von der Gesellschaft, so wie der kleine Otto in Holsts schönem Debütfilm TI KNIVER I HJERTET (1996) am Ende einfach weggeht, obwohl er doch so lange darauf gewartet hat, endlich einmal in die Fußballmannschaft zu kommen, und jetzt hat sich doch endlich mal jemand verletzt. Doch er hat es nicht mehr nötig, zu einer Gruppe zu gehören, nur um zu einer Gruppe zu gehören. Was übrigens so wunderbar an TI KNIVER I HJERTET Film ist, dass ein Junge, der einen gar nicht so kleinen Stein auf einen parteiischen Schiedsrichter wirft und auch noch trifft, nicht sofort einer Herde von Psychologen ausgeliefert wird. Aber das Ganze spielt in den 60ern. Heute sieht das anders aus. Ein Beispiel findet sich in KONGO mit der erwähnten norwegischen Beamtin, die sich wie nebenbei nach der schwierigen Kindheit von Moland erkundigt, als hätte das etwas mit der Sache zu tun, wobei Moland sich solche billigen Zusammenhänge verbietet. Denn was sie damit insinuiert ist auch, dass er ein bemitleidenswerter, psychisch gestörter Abweichler ist, der Hilfe braucht. Doch er besteht auf dem, wer er ist und auf dem, was er denkt. Und wenn er zwischen physischer Freiheit und Loyalität schwankt, aber Letzteres wählt, wird der Film zur Seelentragödie. Das ist ähnlich wie in Holsts Einwandererdrama BLODSBÅNDET (2007, dt.: Mirush und sein Vater), wo ein Junge schwankt zwischen famliärer Zugehörigkeit und Loyalität zum Freund. Bei Holst siegen individuelle Werte über kollektive Werte. Dazu kommt eine gewisse mysteryartige Atmosphäre, wo andere mit einfachem, direktem und oft so ödem Sozialrealismus arbeiten würden. Ich bin gespannt auf Holsts neuen Film DEN STØRSTE FORBRYTELSE (2020), der nächstes Jahr in die Kinos kommen soll und vom norwegischen Anteil am Holocaust handelt. Am 26.11.1942 wurden hunderte von Juden von der norwegischen Polizei über Nacht interniert und später Richtung Auschwitz verfrachtet wurden. Im erzählerischen Zentrum des Films steht eine Arbeiterfamilie.


©NFI (Quelle: Nordische Filmtage Lübeck)