Zwei norwegische, in
Afrika für einen Rebellenführer arbeitende Abenteurer und Söldner
unternehmen im Kongo für ihren Auftraggeber Spionagetätigkeiten,
geraten in Schwierigkeiten, und bei einer Fahrt in den Dschungel wird
der kongolesische Fahrer erschossen. Von einem der beiden Norweger,
sagen die Behörden. Der Spion sei Opfer eines Hinterhalts der
Regierung geworden, sagen die Norweger. Ab sofort sind die beiden
Männer Spielball politisch-ökonomischer Interessen des Kongos, werden zu
zum Tode verurteilten Geiseln. Am Ende ist einer der beiden während der Haft verstorben, wofür der andere auch noch zu Unrecht bezichtigt wird, und
dieser hat dann bei seiner Entlassung 2017 acht Jahre Gefängnis
hinter sich.
Das ist in Grundzügen
das Geschehen von Marius Holsts MORDENE I KONGO (2018),
„Die Morde im Kongo“, der auf den Nordischen Filmtagen Lübeck unter
dem einfacheren Titel KONGO lief. Und Joshua French und Tjostolv
Moland sind die nicht geänderten Namen der beiden Männer, die sehr überzeugend von Tobias Santelman und Aksel Hennie verkörpert werden. Alles in
dem Film ist authentisch und beruht auf Tatsachen. Regisseur Marius
Holst hat die beiden im Gefängnis besucht, sie kennengelernt. Die
grundlegenden Fakten sind den meisten sicher geläufig in Norwegen,
während diese Geschichte zu uns nicht so sehr durchgedrungen ist.
Aber das ist sogar eher ein Vorteil, denn jeder Film entwirft so
sehr sein eigenes fiktives Universum, dass ständige Vergleiche mit
der Wirklichkeit schnell zu einer schiefen Sichtweise führen können.
Und Holst hält sich zwar an die Fakten, verfängt sich aber nicht in
den Fallstricken der größeren politisch-militärischen
Hintergründe. Er interessiert sich nicht im Geringsten dafür, ob
der Kampf gegen das Regime im Kongo legitim sein könnte oder nicht.
Aber, ganz allgemein gesagt, meist geht es ja bloß um Macht und Geld. Der
Rebell von gestern ist der korrupte Diktator von morgen.
Zunächst einmal ist
KONGO ein ausgezeichneter und spannender fiktiver Film, der einiges
an äußerer Spannung bietet und der beginnt wie viele international
angesiedelte Polit-Thriller, Kriegsfilme. Moland kommt per Flugzeug
an in Ruanda, wird abgeholt von French, der das Wort bei den
Verhandlungen für die Söldnertätigkeit führt, wodurch die
Machtverhältnisse zwischen den beiden zunächst geklärt sind. Aber
man ist meilenweit entfernt von solchen Action-Söldnerstreifen wie
DIE WILDGÄNSE KOMMEN (1978), die einem als Jugendlicher so viel Spaß gemacht haben. Es ist eher deren ernüchternder,
moderner Abgesang. Und Marius Holst macht es sich nicht einfach.
Keiner der Beteiligten kommt bei ihm unbeschadet davon. Weder die
korrupten Institutionen des Kongo noch die naiven Söldner noch die
von Norwegen ausgesandten Bürokraten. Es ist ein Gewirr aus oft
unübersichtlichem und oft genug absurdem Irrsinn, das der Film ohne
falsche Rücksichten ungefiltert darstellt.
Der theatralische
kongolesische Schauprozess in der Tradition des Volksgerichtshofes
mit einer zur Lynchstimmung aufgepeitschten Menge ist
furchteinflößend. Das sich selbst verwaltende, brutale Gefängnis
ist halluzinatorisch-klaustrophobisch. Eine der Stärken des Films
ist die Atmosphäre. Aber trotz aller Identifikation und Nähe
überschreitet Holst nicht die Grenze zur leider so beliebten und so
schnell ermüdenden Immersion. Er hält immer noch genug Distanz für
eine analytische Betrachtungsweise. Das unterstützt der Stil des
Films, der nicht linear, sondern mit Zeitsprüngen, Rückblenden erzählt und, in der
Rekonstruktion der beiden Kriminalfälle, potentielle Möglichkeiten
nach dem Rashomon-Prinzip präsentiert. Sehr frei geht er mit der Zeit um, aber das passt zum Verlust des Zeitgefühls der Protagonisten und deren zunehmender physischer Lethargie. Jeweils beide bringen einen aussichtsreichen Fluchtversuch nicht zu Ende. Aber Holst bleibt immer fair
gegenüber den zwei Männern, die bei so manchem reflexartig
politisch korrekte Ablehnung hervorrufen. Am 23.7.2010 berichtete
beispielsweise auch die Berliner taz unter dem Titel „Die verrückten
Norweger von Kinsai“ über den Prozess, und die Kommentare
offenbaren so manches an schablonenhafter, menschenverachtender
Selbstgerechtigkeit der Leserklientel.
Doch der schiefe Blick
auf Afrika der beiden Norweger wird nach und nach freigelegt. Ihre
scheinbare militärische, automatisierte Professionalität erscheint
plötzlich wertlos, denn sie haben nicht das große Ganze im
Blickfeld. Wie naive Kinder, die Spionage und Soldat spielen. Doch
ihr Weg führt sie vom Kriegspielen zum Spielball der
zugegebenermaßen unübersichtlichen afrikanischen Politik. Am Ende
wird einer der beiden zugestehen, dass sie Afrika nicht gut genug
gekannt haben, und das ist tatsächlich ihre Hauptsünde. Dabei
hat das Abenteurertum der beiden nichts mit Kolonialismus zu tun. Sie
bringen ja keine westlichen Werte mit sich. Ganz im Gegenteil. Afrika
ist für die beiden eher eine Art Heilsbringer, wo man scheinbar noch
so männlich sein darf, wie man es in der Heimat vermeintlich nicht
mehr sein kann. Dass das eine sehr dämliche und naive romantische
Vorstellung ist, wie sie viel zu spät erkennen, ist eine andere
Sache. Der Kolonialismusvorwurf ist andererseits aber die moralische
Erpressungswaffe des Kongos gegen den Westen, um ökonomische
Vorteile herauszuschlagen. Die norwegischen Behörden hingegen benehmen sich bis zur Lächerlichkeit korrekt, wo es doch in diesen Ländern nur um das Zahlen von Geld geht. Der ganze Rest drum herum ist bloß Schmierentheater.
Das Gefängnis und der
Prozess werden die großen Prüfsteine, an denen sich dann tatsählich ihre
Kampfkraft, ihre Intelligenz und ihr Durchhaltewille sowie ihre Freundschaft beweisen müssen.
Einzelgänger French, der Anführer mit der großen Klappe, der nie wieder nach
Norwegen will, schwächelt. Er ist es, der krank wird, Malaria
bekommt, der Situation nicht gewachsen ist, kurz gesagt, der
Schwächere ist. Es tritt bei ihm auch eine selbstzerstörerische
Ader zutage, wenn er im Prozess provoziert oder sich in der Zelle
umbringen will. Moland, der aktiven Familienanschluss in die Heimat hat, schafft es besser, auch wenn er auf Dauer ebenfalls krank wird. Und direkt bewundernswert ist es, dass er nicht
unterschreiben will, dass sein Freund ein Mörder sei, auch wenn er
dadurch freikäme. Am Ende verengt sich der Film auf dieses eine
Thema: die Geschichte eines Einzelnen, der in einer Umgebung des
zerstörerischen Wahnsinns seinen Verstand, sozusagen in der Hölle
seine Seele behalten will. Er ist stolz auf sein
Hillbilly-Außenseitertum, das die Lebenswelt der städtischen Eliten
nicht begreift, weshalb es auch kaum eine Kommunikationsbasis
zwischen ihm und einer abgesandten norwegischen Beamtin gibt.
Und so verschieden die
Filme von Marius Holst auch sind, geht es doch immer wieder um
Freundschaft, Außenseitertum, Loyalität und das Finden des eigenen
Weges fern von der Gesellschaft, so wie der kleine Otto in Holsts schönem
Debütfilm TI KNIVER I HJERTET (1996) am Ende einfach weggeht, obwohl
er doch so lange darauf gewartet hat, endlich einmal in die
Fußballmannschaft zu kommen, und jetzt hat sich doch endlich mal
jemand verletzt. Doch er hat es nicht mehr nötig, zu einer Gruppe zu
gehören, nur um zu einer Gruppe zu gehören. Was übrigens so
wunderbar an TI KNIVER I HJERTET Film ist, dass ein Junge, der einen
gar nicht so kleinen Stein auf einen parteiischen Schiedsrichter
wirft und auch noch trifft, nicht sofort einer Herde von Psychologen ausgeliefert wird.
Aber das Ganze spielt in den 60ern. Heute sieht das anders aus. Ein
Beispiel findet sich in KONGO mit der erwähnten norwegischen Beamtin, die sich wie
nebenbei nach der schwierigen Kindheit von Moland erkundigt, als hätte das etwas mit der Sache zu tun, wobei Moland sich solche
billigen Zusammenhänge verbietet. Denn was sie damit insinuiert ist
auch, dass er ein bemitleidenswerter, psychisch gestörter Abweichler
ist, der Hilfe braucht. Doch er besteht auf dem, wer er ist und auf dem, was er denkt. Und wenn er zwischen physischer Freiheit und
Loyalität schwankt, aber Letzteres wählt, wird der Film zur Seelentragödie. Das ist ähnlich wie in
Holsts Einwandererdrama BLODSBÅNDET (2007, dt.:
Mirush und sein Vater), wo ein Junge schwankt
zwischen famliärer Zugehörigkeit und Loyalität zum Freund. Bei
Holst siegen individuelle Werte über kollektive Werte. Dazu kommt
eine gewisse mysteryartige Atmosphäre, wo andere mit einfachem,
direktem und oft so ödem Sozialrealismus arbeiten würden. Ich
bin gespannt auf Holsts neuen Film DEN
STØRSTE FORBRYTELSE (2020), der nächstes
Jahr in die Kinos kommen soll und vom norwegischen Anteil am
Holocaust handelt. Am 26.11.1942
wurden hunderte
von Juden von der norwegischen Polizei über Nacht interniert und
später Richtung Auschwitz verfrachtet wurden. Im
erzählerischen Zentrum des Films steht
eine Arbeiterfamilie.
©NFI (Quelle: Nordische Filmtage Lübeck)