(Nordische Filmtage Lübeck 2021)
Nach ASTRID (2018) hat jetzt mit TOVE (2020) auch die finnland-schwedische Malerin, Zeichnerin und Autorin Tove Jansson (1914-2001), eine weitere große kindertaugliche Künstlerin des Nordens, ihr Biopic bekommen. Und wie in ASTRID werden vorwiegend die Jahre geschildert, in denen ihr später so weltberühmtes Werk Form und Gestalt annimmt. Aber Jansson hat in ihrer Comic-Reihe über die Welt der Mumins, der Mumintrolle, die zunächst international in Zeitungen veröffentlicht wurde, anders als Lindgren, eine ganz und gar fantastische, individuelle Welt, ein eigenes Universum entworfen. Zudem handelt es sich bei den Mumins eigentlich um ein von ihr selbst zunächst gar nicht ernst genommenes Nebenprodukt, um wertlose Kritzeleien. Nicht bedeutungsvoll genug, erschienen sie der ernsthaften Künstlerin zunächst.
TOVE beginnt mit den letzten Zweite-Weltkriegs-Bomben der Deutschen auf Helsinki, und in der Nachkriegszeit endlich kann eine ganze jüngere Bohème-Generation sich ausleben, was auf ganz verschiedene Weise geschieht. Wenn übrigens etwas Besonderes passiert, wenn Tove sich von etwas freimachen will, dann tanzt sie wild. Tanz dient der privaten Therapie, sogar dem Erkenntnisgewinn. Als könnte sie so das Unangenehme abschütteln, Mut bekommen, Dinge zu tun, die nicht Teil ihrer bürgerlichen Herkunft und Erziehung sind.
Dazu gibt es eine schöne, sehr präzise Sequenz. Am Anfang nähert sich die Kamera langsam vom Flur aus dem Inneren eines Wohnzimmers. Auf dem Sofa liegt ein vermutlich ziemlich angetrunkener Mann, und eine Frau – man ahnt natürlich, dass das Tove Jansson ist – hüpft wild tanzend durch den Raum. Gerade hat sie als Lesbe festgestellt, dass sie vielleicht doch besser keine konventionelle Ehe eingehen sollte. Das sie lesbisch ist, wird aber sonst nicht extra thematisiert, diskutiert oder problematisiert. Sie ist es einfach.
Dann lässt sie sich auf Vinia ein, eine aus reichem Hause stammende Theaterregisseurin. Voller Liebe und Romantik hält Tove in unerfahrener Naivität diese Beziehung für etwas Dauerhaftes. Bei einem Großauftrag für Vivias Theater bekommt sie hinterher allerdings bloß eine kalte, finanzielle Entschädigung. Vivia kennt keine Beständigkeit, lebt das Motto der „freien Seelen“ bis zur Dekadenz aus, was allerdings nicht frei wirkt, sondern eher wie eine Zwangshandlung. Tove braucht lange, um sich emotional aus dieser zerrissenen Beziehung zu befreien. Sie gehört zwar zur Kunstwelt, ist aber auch konservativ und romantisch, spielt nicht angestrengt den Anti-Bourgeois.
Auch in der Kunst steckt sie fest, denn ihr Weg ist lange Zeit festgezimmert durch die von ihr verinnerlichten Ansprüche des Vaters, denen sie genügen will und wofür sie wie besessen arbeitet. Sie kommt aus einer Künstlerfamilie, wo das ungeschriebene Gesetz lautet, dass man nicht nur Künstler werden muss, sondern auch, dass man echte Kunst machen muss. Ihr Vater ist Viktor Jansson, damals landesweit bekannter, staatlich subventionierter Bildhauer. Und wenn Tove an Entwürfen zu dem arbeitet, wofür sie heute vor allem berühmt ist, dann macht ihr Vater sie darauf aufmerksam, dass das eben keine Kunst ist. Der Vater erscheint oft als unbewegliche, einen dunklen Schatten werfende Figur, wobei Streit bei den Janssons so normal ist, dass die Mutter sich einmal sarkastisch erkundigt, ob die beiden vor oder nach dem Essen streiten wollen. Tove kümmert sich, trotz Anerkennung und echtem Interesse von Freunden, nicht um die Entwicklung ihrer Zeichnungen, um die Mumintrolle, da es sie von der Arbeit abhält, mit der sie sich aber kaum über Wasser halten kann. Beim Tod des Vaters entdeckt sie aber im Nachlass Spuren der Bewunderung. Er hat Zeitungsartikel über sie gesammelt.
Der Nachspann liefert dem Zuschauer die echte Tove. Ein bunter, körniger Heimfilm zeigt, wie sie durch die Dünen tanzt. Und irgendwie wirkt sie hier noch unermüdlicher, als es im Film gezeigt wird. Aber vielleicht ist sie auch nur endlich glücklich, weil sie Ordnung in der Liebe und der Kunst hat. Da müssen keine Probleme mehr weggetanzt werden. Im Ganzen ist es aber ein eher konventioneller Biopic. An sich ist der Film mitunter etwas behäbig, und er tut sich keinen Gefallen damit, alles, was auch nur ansatzweise emotional ist, mit Klaviergeklimper zu unterlegen. Tove ist ja eine junge Frau voller tiefer Gefühle, Verstand, Energie. Der Film hingegen ist manchmal etwas zu gebremst, aber grundsätzlich zuverlässig solide. Alma Pöysti, die Darstellerin der Tove, sticht dabei auf bemerkenswerte Weise heraus.