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Sonntag, 17. Oktober 2021

Alf Sjöbergs DEN STARKASTE – Eifersucht im Eismeer

 

Die größte Qualität des letzten schwedischen Stummfilms überhaupt, DEN STARKASTE (1929, dt.: Der Stärkste), gleichzeitig das Regiedebüt von Alf Sjöberg, ist die Atmosphäre, die bedrückend schöne Einsamkeit des nördlichen Eismeeres und der absolute Realismus, in den die einfache Story um den eifersüchtigen Kampf zweier grundverschiedener Männer, von Anders Henrikson still-ernst und von Bengt Djurberg gelassen-siegessicher gespielt,  um eine Frau, eingebettet ist, und der möglich ist, da alles an Originalschauplätzen gedreht wurde. Man hatte zwei Boote gemietet, inklusive Kapitän und Besatzung, und so konnten auch die kleinen Handgriffe detailliert und authentisch gefilmt werden.

Hypnotisch und gewissermaßen auslöschend ist die nicht endende, orientierungslose Weite des Eismeeres weit nördlich von Spitzbergen. Eine verlorene Poesie geht von den kleinen Ruderbooten aus, auf denen die Seeleute sich zwischen den herumtreibenden Eisschollen langsam ihren Weg bahnen, während sie auf der Jagd nach Seehunden und Eisbären sind.

Zwei dramatische Höhepunkte sind gleichzeitig auch visuelle Höhepunkte. Wenn am Ende ein Mann über große Eisschollen läuft, zwischen denen mitunter tiefe Wassergräben stehen, über die man kaum hinwegspringen kann, und das Ganze aus gewisser Distanz in einer Riesentotalen aus der Vogelperspektive gefilmt wird, dann wirkt es, als käme er bei seiner Rettungsmission gar nicht voran. Dieses Kaumvorwärtskommen trotz angestrengten Rennens, hat eine größere Wirkung, als wäre die Szene in Form einer Griffith'schen Parallelmontage in kleine Actionschnitte aufgeteilt worden. Der Zustand des zu rettenden Mannes bleibt hier die ganze Zeit unbekannt.

Oder die Arktis im Tagesnebel, der wie still stehender Rauch alles zu verschlingen scheint, vom Horizont bis zum rettenden Mutterschiff, das sich solcherart in Nichts aufgelöst hat. So entsteht ein körniges Weißgrau, in dem man gerade so am Wechsel der Weiß-Grauabstufungen den Horizont erkennen kann. Ein Boot im Nirgendwo rudert hilf- und ergebnislos zwischen den Eisschollen umher. Ein Weg so gut und sinnlos wie der andere. Die visuelle Atmosphäre liefert das Gefühl der Einsamkeit, des Ausgeliefertseins, des sicheren unaufhaltsamen Todes, was sich auch auf den hoffnungslosen, Böses ahnenden Gesichtern der Seeleute widerspiegelt.

Ansonsten verliert sich der Film leider immer wieder in den Konflikten seiner konventionellen, vorhersehbaren Story, die trotz der inneren Intensität des Geschehens in vielen Einzelszenen nicht wirklich zum Leben erwacht. Das hat auch praktische Gründe. Einer der, dramaturgisch betrachtet, Konflikterzeuger wurde schwer krank und musste nach Hause ins Krankenhaus. Man erfand als Ersatz die Figur eines Schiffsjungen, der aber nicht mehr als Sympathie erzeugt. Problematisch ist auch, dass das Objekt der Begierde so weit weg in Norwegen ist. Die Auseinandersetzung bleibt daher eher abstrakt. Schon die nicht enden wollenden Szenen, in denen der durch die sommerliche Landschaft vagabundierende Seemann und die junge Bäuerin sich verlieben, können Ungeduld erzeugen, da man eigentlich zurück auf See und zum Eis möchte, denn da schlägt das Herz des Films. Für eine intensive Einheitlichkeit des Films wäre es besser gewesen, hätte diese Annäherung schon vor der Schiffsreise stattgefunden.

DEN STARKASTE ist der erste geglückte Versuch des Theaerschauspielers und -regisseurs Sjöberg, in der schwedischen Filmindustrie Fuß zu fassen. Und da sein Wille dazu so groß war, sagte er beim Angebot dieser riskanten Expedition sofort zu, wohl auch nicht ganz wissend, was ihn da wirklich an Härte und Gefahr erwartete. Da der Film zwar kein Misserfolg, aber auch kein großer Kassenschlager war, flog Sjöberg erst einmal wieder raus aus dem System, um erst zehn Jahre später, ab 1940, regelmäßig filmisch mitzumischen. Auf seine eigene Art hatte er dann Erfolg. Mit FRÖKEN JULIE / FRÄULEIN JULIE (1951) schuf er mindestens einen international berühmten Klassiker.

Sonntag, 3. Oktober 2021

TURE SVENTON OCH BERMUDATRIANGELNS HEMLIGHET (Staffel 1) – Kopfarbeit vs. Smartphone

 

Lingonboda ist eine fiktive, typisierte schwedische Kleinstadt ohne besondere Kennzeichen. Wäre hier nicht seit jeher das Zuhause des Privatdetektivs Ture Sventon. Sventon ist der Held einer Kinderbuchreihe von Åke Holmberg, die 1958-1973 entstand, wobei die frühen Bücher aus den 40ern und 50ern in den 70ern neu aufgelegt wurden. 1972 gab es durch eine Verfilmung mit Jarl Kulle in der Hauptrolle einen Popularitätsschub. Kulle besang sogar eine Single mit dem Lied „Ture Sventon“, komponiert und produziert von den beiden ABBA-Männern Ulvaeus und Andersson. Der „Waterloo“-Triumph beim Grand Prix war ja erst 1974. Zwei der Sventon-Bücher wurden erst 1999 ins Deutsche übersetzt, scheinen sich aber allen Anschein nach hierzulande nicht durchgesetzt zu haben. Dass die deutschen Verlage sich in den 1970ern dieser Serie nicht angenommen haben, liegt sicher auch daran, dass der Film mit Jarl Kulle den Weg in die hiesigen Kinos nicht geschafft hat. Es gibt übrigens noch zwei weitere filmische Bearbeitungen. Einmal als über sieben Stunden langer TV-Weihnachtskalender von 1989 und dann von 1991 T. SVENTON OCH FALLET ISABELLA.

TURE SVENTON OCH BERMUDATRIANGELNS HEMLIGHET (2019) ist, wie heute üblich, eine modernisierende und modernisierte Serie. Sie spielt im Schweden von heute und Sventon ist inzwischen ein alter Mann, der seit 25 Jahren nicht mehr gearbeitet hat und jetzt Räumlichkeiten seiner Villa aus finanziellen Gründe an eine Familie mit alleinerziehender Mutter untervermieten muss. Deren junge, und bis zur Unausstehlichkeit freche Tochter wird sich an Sventons Fersen heften und keine Ruhe geben, bis sie, mit einer neuen Schulfreundin, irgendwie zu seiner Assistentin wird.

Sollte man man angesichts all der seelenlosen Modernisierungen von klassischen Serienfiguren Bedenken haben, was die Autoern und Regisseure Per Simonsson und Stefan Roos nun auch noch mit Ture Sventon angestellt haben, dem kann die beruhigende Antwort gegeben werden: gar nichts. Es ist nur die Welt um ihn herum, die sich geändert hat. Er ist immer noch voller Selbstbewusstsein, derselbe wie früher. Das Einzige, worauf es bei einem Fall ankomme, wäre, sich in die Gedankenwelt des Verbrechers hineinzuversetzen. Konfrontation und gegenseitige Ergänzung von altmodischer gedanklicher Ermittlungsarbeit und Smartphone-Welt sind dann aber doch die Grundlage des Erfolges. Sventon ist der unverønderte kindgerechte Clouseau, bei dem sich Genialität mit der Fähigkeit zum alles durcheinander bringenden Chaos vermischt. Robert Gustafsson scheint für die Rolle geboren zu sein.

Und nach und nach tauchen dann auch im Laufe der 255 Minuten langen Serie die Dinge und Eigenschaften auf, die man kennt. Die Sekretärin, sein bester Freund aus Arabien Omar Ali, der ihm einen fliegenden Teppich geschenkt hat, seine suchtartige Vorliebe für Windbeutel, ohne die er nicht funktionieren kann, seine faszinierende Fähigkeit der Verwandlung und Maskierung, perfekt für Gustafsson, der ja in in den letzten Jahrzehnten in unzähligen genialen Comedy-Nummern sein Maskerade-Genie unter Beweis gestellt hat. Nur eine Macke ist bei Sventon entstanden: Die ständige Identifikation mit fremden Figuren, teilweise realen, teilweise fiktiven, hat ihm nicht gutgetan. Es besteht immer die Gefahr, dass er in der Diktion steckenbleibt. Das, was der Film hier zeigt, ist natürlich auch eine ironische Anspielung auf den Schauspielerberuf.

Der Fall selbst ist weitaus spektakulärer als gewohnt und verlässt die Ebene des schwedisch Provinziellen. Das gab es zwar auch vorher schon. Aber dieses Mal ist es eben ganz, ganz groß und betrifft die ganze Menschheit. Das Bermudadreieck-Rätsel wird hier endlich gelöst. Sventons Erzfeind, der Superbösewicht Ville Vesla, ist auf mystische Weise aus dem Gefängnis entkommen. Und jetzt geht es um Weltuntergang und Weltherrschaft. Der Film bewegt sich mit viel Originalität und Freude am skurrilen Erzählen hinaus in die angesagte Welt voller Mystery, Comedy und Fantasy, findet aber immer wieder den Weg zurück in die Kleinstadt Lingaboda und bleibt bis zum Ende auch eine Schul- und Familiengeschicht e mit ihren wahren Klischees ist, wie das der ehrgeizigen Übermutter mit dem weichgespålten, langhaarigen Ehemann.

Jede Nebenfigur ist sorgfältig besetzt. Es gibt keine Schwächen.  Einfach wunderbare Darsteller, wobei die Bösen sich gekonnt zwischen Groteske und Selbstparodie bewegen, besonders Villes dysfunktionale Familie. Die Serie ist bunt, abwechslungsreich und sehr komisch, stilistisch ausladend und visuell sehr ansprechend. Schön anzusehen.  Mit überraschenden, spannenden digitalen Bildern. Das Schiff am Nordpol, die Pyramide auf dem Meeresgrund, die einsame Pyramidengegend in der weiten ägyptischen Wüste. Und ein Vorteil hat es, dass ich die Serie erst jetzt gesehen habe. Die zweite Staffel ist  schon abgedreht. Da dauert das Warten auf die Heimvideo-Veröffentlichung nicht so lange.