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Freitag, 5. Februar 2021

SLØBORN (Staffel 1) – Die inspirierende Virus-Apokalypse

In Lars von Triers MELANCHOLIA (2011) steht der Weltuntergang bevor, und während sonst so selbstsichere und großmäulige Menschen bewegungslos in Angst versinken, wird eine Frau immer klarer und gelassener. Bis zum Schluss weiß sie, was zu tun ist. Darauf hat sie sich gedanklich schon lange vorbereitet. Endlich passt die Welt sich ihrem düsteren Geisteszustand an. Auch in der deutsch-dänischen Co-Produktion, der achtteiligen ZDF-Serie SLØBORN (2020), in der ein weltweit sich ausbreitender Todesvirus ein Massensterben auch auf einer fiktiven Nordseeinsel an der deutsch-dänischen Grenze auslöst, gibt es eine ähnliche Figur. Ein ehemaliger Erfolgsautor, der mit seinem neuen Roman nicht vorankommt. Verkokst, verkorkst, ausgebrannt, mit einer Verachtung für das normale, vermeintlich spießige Leben, was aber eher seiner Unsicherheit und Verlorenheit entspringt, begreift er die Apokalypse um ihn herum irgendwann als Chance. „Inspirierend“ findet er den Weltuntergang und ist von dieser wunderbaren Insel nicht mehr herunterzubekommen. Er integriert sich in die von ihm bisher gemiedene Welt, auch wenn sie jetzt im Ausnahmezustand existiert. Weder die Polizei noch die weitaus rabiatere Bundeswehr mit Schießbefehl kriegen ihn aufs Festland. Er ist ein absolut angstfreier Autor, der geistig schon oft genug gestorben ist, und so rennt er denn auch konsequent ohne Maske herum, als ginge ihn das Virus nichts an.

Das zeigt schon die etwas anderen Wege, die diese von Christian Alvart geschaffene und teilweise auch inszenierte Serie geht. Vermieden wird vor allem das Klischee von der heilen Welt, über die die böse Krankheit hereinbricht. Denn das Böse, das Verstörende, der Riss im heilen Alltag ist vorher schon da. Auf die eine oder andere Weise überall, bei sämtlichen Figuren, Figurengruppen, die repräsentativ im Mittelpunkt stehen: Eine alteingesessene, fünfköpfige Familie, mit Eltern als Geschäftsfrau und Tierarzt. Dieser will von der Insel runter. Und wenn von einem Tag auf den anderen ein Familienvater weit wegzieht, dann ist das für die Betroffenen schon Weltuntergang genug. Der alleinstehende, zur frustrierten Gewalt neigende Polizist und sein verschüchterter Sohn, sowie die Mitschüler, die sich diesen als Mobbingopfer ausgesucht haben. Eine Buchhändlerin und Pfarrersfrau, die den bedrogten und sinnlos aggressiven Autor zu einer Lesung eingeladen hat und einiges durchmachen muss aufgrund dessen irrlichternden Benehmens. Eine Gruppe von Jugendkriminellen, die durch Gemeinschaft und Arbeit reformiert werden sollen, was aber von der destruktiven, nicht zulett selbstdestruktiven, Energie einiger Teilnehmer bedroht wird.

Schon über dem Alltag dieser Menschen und ihrem irrationalen Verhalten liegt also etwas Merkwürdiges. Das wird erreicht einerseits durch das kühle Gesamtporträt einer Insel und andererseits durch die intime Nähe zu den Figuren. Tatsächlich sind die ersten Folgen, in denen die Krankheit sich nur langsam und bedrohlich heranschleicht, förmlich hereinkriecht in das Leben der Menschen, die besten der Serie. Die letzten Folgen bilden dann eher eine große Flucht und Auflösung, sind actionreicher.

Christian Alvart hat keine Angst vor dem Trashigen, dem Wilden, den B-Film-Elementen und kriegt damit eine bessere Beschreibung der Welt hin, als ihn uns der gewöhnliche, verzagte und verklemmt ideologisierte Kunstfilm- und TV-Realismus einreden will. Es gibt in Deutschland sonst keine Regisseure, die gleichzeitig Tatort-Action, so etwas amüsiert Hirnamputiertes wie HALBE BRÜDER (2015), etwas intim Emotionales wie BANKLADY (2013) oder grotesk Historisches wie FREIES LAND (2019) drehen. Alvart wandelt diesen schmalen, schwierigen Grat zwischen normal und extrem, Multiplex und Arthouse.

Zu Abziehbildern oder Karikaturen werden seine Figuren auch in SLØBORN trotz allem nicht. Auch nicht der anfangs manisch-irre Autor auf dem Amoktrip, der diese ihm fremde Welt verflucht und sie plötzlich mit anderen Augen sieht und etwas Groteskes in die Ruhe bringt, zwischen Drogen-Dämon und Clown. Oder der dänische Ex-Verbrecher, der mit aller Gewalt junge Leute retten will, und dessen Bruder Partydealer ist. Oder deren Feind, der Redneck, dessen faschistoide Tendenzen nichts daran ändern, dass sein paranoides Misstrauen gegen den Staat alles andere als paranoid ist. Oder ein Sohn, der seinen Vater mit dem tödlichen Virus infiziert. Das alles hält SLØBORN nicht davon ab, emotional echt und stellenweise sogar sehr bewegend zu sein, so wie die eine oder andere Beerdigungsszene. Von sentimentalen, ausgedehnten, tränenreichen Sterbeszenen wird man aber verschont. Was man an Krankheitsekel zu sehen bekommt, ist absolut hinreichend.

Was auch klischeefrei ernst genommen wird, ist das Religiöse. Da ist ein Pastor, Ehemann der Buchhändlerin, das netteste und heilste Ehepaar des ganzen Films. Selbst die Apokalypse-Freunde von der Freikirche werden nicht denunziert. Und das nette Mädchen, das zu diesen gehört, ist keineswegs gestört. Dass der Schriftsteller keine Angst hat, am Schluss sogar aktiv rettend in die Story einzugreifen, nachdem er lange nur passiv-distanzierter Beobachter war, liegt auch daran, dass auf der Insel seine Seele gerettet wurde. Und die ist schließlich am wichtigsten. Und wenn man übrigens eins gelernt hat aus den letzten 13 Monaten mit dem Chinavirus dann, dass, wenn wirklich mal ein echt schlimmer Virus kommt, angesichts einer unfähigen Regierung sowieso nur noch beten hilft.

Der Weltuntergang im Rest der Welt wird – in Form von Todeslagern in Kiel! – in SLØBORN nur kurz gestreift. Übrigens gehört auch Paderborn zu den sehr frühen Viruszentren der Republik. Also, wo immer die Welt auch untergeht. Ich bin mitten drin. Das müssen die Schwingungen sein. Aber solange es inspirierend ist, ist es schon okay. SLØBORN hat übrigens ein offenes Ende. Wie könnte es anders sein, solange nicht alle Figuren tot sind oder ein superperfekter Impfstoff auf den Markt kommt? Eine eigentlich nicht geplante zweite Staffel wurde Ende letzten Jahres angekündigt.