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Freitag, 22. Januar 2021

Ragnar Bragasons GOLDREGEN  – Wie eine Verstopfung

 

Zugegeben, Ragnar Bragasons GOLDREGEN / GULLREGN (Island 2020), der bei den Nordischen Filmtagen Lübeck 2020 zu sehen war, hat tatsächlich eine amüsante Grundidee: Eine ältere Frau in einem Hochhaus im Sozialviertel spielt krank, bezieht Sozialhilfe und für den schon lange erwachsenen Sohn gibt es auch noch staatliches Geld, denn ihn verkauft sie den Behörden schon ewig als geistig behindert. Wütend ist sie auch, weil die Behörden ihren Goldregen-Baum auf der Gartenterrasse entfernt haben, da nicht heimische Pflanzen ab sofort verboten sind. Dass der Sohn jetzt aber plötzlich beim Rettungsdienst aktiv ist und nach einer heldenhaften Tat ziemlich gesund und klar in den landesweiten Medien landet, während er ständig mit seiner polnischen Freundin zusammen ist, das ist zu viel für die Alte. Die Dinge geraten aus dem Ruder. Leider hört sich das jetzt witziger an, als es ist. Denn GOLDREGEN ist in Wirklichkeit eine Antikomödie, die so witzig ist wie eine Verstopfung. Eine schmerzhafte Verstopfung von 112 Minuten.

Da rettet auch Sigrún Edda Björnsdóttirs bemerkenswerte schauspielerische Tour de force als grimmige Übermutter Indíana nichts. Ihre Wohnung hat die Atmosphäre eines goldenen Treibhauses, fern von der Welt. Das ist mächtig symbolisch, aber, und das ist das Problem, auf Dauer auch einfach grässlich hässlich anzugucken. Und als Zuschauer ist man mit eingesperrt in diesem ganzen visuellen Elend. Und das Allerschlimmste ist: Es reicht nicht, diese Frau vorzuführen in ihren irren Amokläufen, am Ende gibt es auch noch Erklärungen für ihr Verhalten – Biografisches, Kindheit. Als wenn das von irgendeinem Interesse wäre. Für mich jedenfalls nicht. Ich habe da auch schon längst nicht mehr richtig hingehört. Jedenfalls ist es ein gutes, aber dadurch nicht weniger grässliches Beispiel für die Soziologisierung und Psychologisierung des modernen Kinos.

Und es reicht auch nicht, eine zerstörerische Übermutter zu haben. Sie hasst auch noch alle. Alle. Ohne Ausnahme. Im Grunde ja auch sich selbst. Ist es also ein Film über Fremdenhass, wenn sie dabei auch Fremde hasst? Der Ausländerhass ist hier, logisch betrachtet, wohl eher eine Form der demokratischen Gleichbehandlung. Oder stellt Bragason sich den typischen Fremdenhasser der Unterschicht so vor? Soll das typisierend sein? Unterschichtenverachtung ist ja in bürgerlich-elitären Kreisen inzwischen sehr beliebt.

Kein Mensch bei Bragason darf echt sein. Alle sind bloß seine skurril-grotesken untoten Marionetten, deren Entwicklung das hölzern-zynische Drehbuch vorschreibt. Und Ausländer müssen was Besonderes sein. Auch hier keine normalen Menschen. Die Krankenschwester ist in Wirklichkeit ausgebildete Ärztin. Dann ist da das junge chinesische Klaviergenie und bei den Südamerikanern ist immer stimmungsvoller Tanztee. Irgendwie ist das auch ein Spiel mit albern-propagandistischen Bereicherungs-Klischees, aber es funktioniert nicht. Übrig bleiben nur diese Stereotypen im luftleer bedeutungslosen Raum, der bei Bragason ziemlich modrig müffelt. Der Sohn endet übrigens als irre stierender Psychopath, der gerade eine Ausländerin umgebracht hat. Ist aber nicht so verstörend wie beabsichtigt. Ich war viel zu froh, dass das Elend, also der Film, endlich ein Ende hatte. Von mir aus hätte er noch sonst wen umbringen können. Wäre mir egal gewesen. Und langsam löste sich die Verstopfung.