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Freitag, 15. Januar 2021

SKAGERRAK + LOBSTER SOUP– Die Fischerei in Gegenwart und Erinnerung

 

© Werner Lebert (Quelle: Nordische Filmtage Lübeck)

Zwei grundverschiedene Dokumentarfilme, die auf den Nordischen Filmtagen Lübeck 2020 in unterschiedlichen Sektionen zu sehen waren, ergänzten sich in meiner Erinnerung zu einem sich in der Ferne verlierenden Horizontblick auf die Fischerei. Die zeitliche Perspektive bei beiden Werken ist die Gegenwart, einmal die sichtbare Gegenwart und dann der Übergang der Vergangenheit von gelebter Erinnerung zu musealer Statik, bei der die Vergangenheit zum unpersönlichen Ausstellungsstück wird. Um zwei Orte geht es, jeweils zu Wasser und zu Land: ein Trawler auf der hohen Nordsee und ein Café in Island. SKAGERRAK (2019) von Werner Lebert zeigt die momentane Wirklichkeit der unsentimentalen Industriefischerei, die allerdings immer noch ihre besonderen Augenblicke hat, denn man befindet sich schließlich nach wie vor draußen auf einem mal wunderschönen, mal ziemlich wilden, unsicheren Meer. LOBSTER SOUP (2020) von den Spaniern Pepe Andreu und Rafael Molés zeigt einen Ort, der mal Teil einer lebendigen, individuellen Fischereiwelt war und dann im Laufe der Jahrzehnte zu einem zentralen Ort der lokalen Erinnerung wurde.

 

SKAGERRAK

SKAGERRAK zeigt Fangfahrten mit dem Trawler „J. von Kölln“, dessen Heimathafen Cuxhaven ist. Über Jütland heraus auf die Nordsee. Es ist ein Trawler der Firma Küstenfischer. Die Konzentration des Films gilt ganz der Atmosphäre und der harten Arbeit. Auch im technisierten, digitalisierten Zeitalter fängt sich der Fisch nicht von selbst. Netze raus, einholen, Fang sortieren. Und die größeren Fische müssen weiterhin von Hand auf dem Schiff selbst auseinandergenommen werden. Nur zwischendurch fallen mal ein paar Worte des Kapitäns, die die Unterschiede zu früher klarlegen, wo es auch hart, aber sicher etwas entspannter war: „Früher war da schon Romantik.“ Oder: „Masse statt Klasse“. Die Hintergründe für solche Aussagen, also lange Darlegungen um Quoten oder EU, werden hier ausgespart.

SKAGERRAK zeichnet ein ganz direkter, beobachtender Realismus aus, der sich einfach für das interessiert, was da ist, was gerade passiert. Auf der einen Seite die praktische Arbeit, auf der anderen Seite immer wieder kleine Ausflüge ins Poetische, Pittoreske, manchmal nur ganz kurz, in Form von kleinen Inserts, wenn Lebert Gegenstände auf der Kapitänsbrücke groß ins Bild nimmt. Oder da sitzen die Möwen in Reih und Glied auf der Reling, diszipliniert wartend auf die nächste Attacke. Es gibt beeindruckende Bilder vom Meer in verschiedensten Wetterlagen, im Regen, bei Sonne, in Windstille, bei Sturm bis Stärke 10, 11. Wie kurze melodiöse Refrains zu eher prosaischen Strophen, die das unaufhörliche, kontinuierliche, physisch anstrengende Arbeiten zeigen. Aber solange man Unmengen toter Fische nicht gespenstisch findet, hat selbst die Fischverarbeitung schrecklich schöne Bilder zu bieten, so wie etwa die toten Fische, die mechanisch zappelnd im Laufband hängen, als würden sie sich verzweifelt festkrallen mit unsichtbaren Flossenklauen.

Zwei Personen hat sich Lebert herausgepickt zum näheren Kennenlernen. José, der Portugiese, der Fischer ist, seit er neun ist und jetzt doch langsam ans Aufhören denkt. Und dann natürlich der erfahrene Kapitän Fritz Flindt, der auf seiner Brücke sitzt. Er hat eine ganze Sammlung von Notizbüchern mit seinen Fangerfahrungen, die ihm sehr helfen und die er mit ins Grab nehmen will. Er erzählt von der Allround-Arbeit des Kapitäns, von der Küche bis zum Verarzten kleinerer Blessuren. Man könne ja nicht wegen jeden Kratzers das Festland anlaufen, denn schließlich: „Wir sind doch keine Weicheier.“ Aber die lustigste Pointe des Films ist das Hobby des Kapitäns, wenn er denn die Zeit hat. Da geht er Angeln. Offensichtlich kann er Fische gar nicht leid werden.

Einmal im Film entsteht übrigens eine echte Krise, eine Notlage erster Güte. Die Kartoffeln sind alle und müssen in einer Hochseeaktion von einem anderen Schiff herübergeladen werden. Und Kartoffeln müssen es sein, denn Reis, Nudeln, Pommes sind auf Dauer einfach kein vollwertiger Ersatz. Dass gerade diese Nahrungsmittel in unserer Gesellschaft die gute, klassische, gekochte Kartoffel bedrohen, zeigt dann wohl, dass wir eine Gesellschaft von Weicheiern geworden sind.

© Werner Lebert
 

 

LOBSTER SOUP

 
Währenddessen an Land ... könnte man als Überleitung von SKAGERRAK zu LOBSTER SOUP sagen. Da sitzen alte Männer, die zum größten Teil mit der Fischerei zu tun hatten, an ihrem täglichen Treffpunkt. Das Bryggjan-Café am Hafen von Grindavik steht im Mittelpunkt dieser entspannten Doku. Beliebtes Hauptgericht ist die Hummersuppe, wie der Filmtitel schon andeutet. Der Rhythmus des Films ist ganz langsam, entsprechend dem Gang dieser alten Männer, deren Gesprächen der Film gerne und lange lauscht. Es gibt sogar den einen oder anderen Prominenten, einen Boxer und einen bekannten, am Ort ansässigen Schriftsteller. Gezeigt werden die verschiedenen Facetten des Cafés, vom Touristen-Stützpunkt bis zum Veranstaltungsort. Denn abends ist hier oft ein wichtiger kultureller Treffpunkt mit Musikkonzerten, Lesungen, Lokalanekdoten. Hier wird versucht, die Erinnerung besonders an Menschen, die dort lebten und die man kannte, am Leben zu halten.

Bryggjan ist eben auch eine Kneipe der Erinnerung, der Nostalgie an eine praktisch verschwundene Art der Fischerei. Und ein Symbol für die Ursache des Anfangs vom Ende hängt im Café. Es gab früher eine inoffizielle Meisterschaft im Massenfischen. Auf einem Brett sind die Jahresgewinner verzeichnet. Dann war das Meer leer und es kamen die Quoten und dieser Wettbewerb wurde sinnlos. Doch mit all dieser gelebten Nostalgie ist es bald vorbei. Im Kern ist LOBSTER SOUP ein Abgesang. Gezeigt wird die letzte Zeit dieses wahrhaft kultigen Cafés, das es zwar immer noch geben wird, aber eben anders, mit anderen Besitzern. Denn es wird verkauft. Man sieht am Schluss, wie die so persönlichen Erinnerungsstücke an den Wänden abgenommen werden. Es gibt die Pläne des neuen Besitzers für ein Restaurant im ersten Stock, wo die Werkstatt der Netzmacher war, die dann einen musealen Charakter erhält, zum Dekor erstarrt, das zwar etwas abstrakt Historisches vermittelt, aber nicht mehr mit Leben gefüllt ist. An Bryggjan als Ort der Erinnerung wird man sich dann nur noch erinnern. Vor allem mit Hilfe dieser Dokumentation.

Der Verkauf ist aber wirklich nötig, da die Besitzer einfach zu alt geworden sind für so einen anstrengenden Betrieb. Eigentlich sind die beiden Brüder Netzmacher und die große Werkstatt liegt direkt über dem Café. Angefangen mit Bryggjan haben sie im kleinen Rahmen 1976 und der Zuspruch wurde immer größer. Die gesamte Entwicklung lief über „learning by doing“ und dadurch wurde dieses Café ein ganz spezielles mit individueller Note. Einer der Brüder beispielsweise fuhr täglich hinaus zur blauen Lagune, der regionalen Touristenattraktion, um anhand der Touristenmengen die zu erwartende Gästezahl im Café abschätzen zu können. Es gibt nebenbei auch private Einblicke in die Wohnungen sowie in die ganze Gemeinde, wenn sich die Menschen bei einer Informationsveranstaltung angesichts einer Vulkanausbruch-Bedrohung versammeln.

Ganz am Ende gibt es einen ironisch-bitteren Epilog mit einem der Brüder und seiner Frau, die jetzt endlich frei sind zu tun, was sie wollen. Und dazu gehörte offensichtlich ein Urlaub in Spanien, im warmen Süden. Nun stehen sie mit einer Touristengruppe am Strand und bekommen etwas darüber erzählt, wie diese hässliche Hotelhochhaushölle einmal ein kleines Fischerdorf war. Aber ein armes Fischerdorf, und das wollte man ändern, als man die Möglichkeit sah. Und der andere Bruder macht einen Besuch im Altersheim bei einem der alten Stammgäste, dessen sonst so blendende Erinnerung langsam nachlässt. Und den Altherren-Stammtisch, den gibt es nicht mehr. Das hat sich in alle vergänglichen isländischen Winde zerstreut.

© SUICAfilms/Pepe Andreu et Rafael Molés (Quelle: Nordische Filmtage Lübeck)