Der actionreiche dänische Polizeifilm SHORTA (2020) wirkt spontan wie eine Kreuzung aus Ladj Lys französischem Film LES MISERABLES (2019) und den inzwischen klassischen, fantasievollen Wie-komm-ich-aus-dem-Ghetto-raus-Filmen wie STRASSEN IN FLAMMEN (1984), DIE WARRIORS (1979) oder auch DIE KLAPPERSCHLANGE (1981). Nur dass es sich hier in SHORTA um Polizisten als Hauptfiguren handelt. Das Konzept jedenfalls ist einfach: Trotz sich andeutender Unruhen wegen der ungeklärten Misshandlung eines sich im Koma befindlichen jungen Schwarzen, verfolgen zwei Polizisten mit ihrem Streifenfahrzeug mutmaßliche Dealer in ein fiktives dänisches Ghetto-Viertel. Dort demütigt einer der Polizisten einen jungen Araber auf offener Straße, danach fliegt ein Milchshake auf die Windschutzscheibe, eins kommt zum anderen und plötzlich sind die beiden Polizisten die Gejagten und müssen zusehen, dass sie rauskommen aus dem feindlichen, labyrinthischen Betondschungel. Der verhaftete junge Araber muss ihnen helfen, den Weg zu finden. Aber dann gehen die Beamten auch noch selbst aufeinander los.
Die Verbindung mit dem französischen Film LES MISERABLES ist allerdings wohl eher eine zufällig thematische, wenn man die langen Jahre der Planung und Finanzierung eines solchen Projekts wie SHORTA miteinkalkuliert. Und LES MISERABLES will ja bewusst eine reale Schilderung eines realen Ortes sein, der Ort, aus dem der Regisseur selbst stammt. Bei den beiden SHORTA-Regisseuren Anders Ølholm und Frederik Louis Hviid zeigt sich vor allem das geistige Zuhause des erwähnten klassischen Hollywood-Actionkinos. Bei ihnen herrscht das Genre-Prinzip der Zusammenfügung von Standardelementen vor. Der Gegensatz der zwei Polizisten wird bis zum Äußersten ausgespielt. Da ist das aktive, durchsetzungsfähige Großmaul, dargestellt mit bulliger Energie, scharf an der Grenze zum Overacting, von Jacob Lohman. Auf der anderen Seite der stille, nachdenkliche Polizist, gespielt von Simon Sears, der sich nach der Pfarrersfamilie-Serie DIE WEGE DES HERRN (2017-2018) schon wieder mit Gewissenskonflikten herumschlagen muss. Und der tödliche Gegner im Ghetto erscheint zum großen Teil als das anonym Böse, das fast gesichtslos im Hinterhalt lauert. Der Anführer hat eine markante Frisur, wie sie zu einem Vorzeigebösen gehört.
Aber leider hat man sich nur bei den Grundelementen der großen Vorbilder bedient und es führt keine gerade Linie hierhin von, sagen wir, Howard Hawks und John Carpenter. Denn gearbeitet wird hier, auf Kosten von Stil und Inszenierung, ausschließlich mit dem Starkstrom-Adrenalin-Prinzip, das aus jeder Szene das Höchstmögliche an Intensität und Spannung herausholen will und so zu einer großen Übersteigerung wird, auch wenn nie der realistische Boden verlassen wird. Die Dinge passieren nicht einfach, sondern man lässt sie auf extremst möglichem Weg passieren und lässt kein erzählerisches Mittel aus. Da wird der verletzte Polizist ausgerechnet gerettet und verbunden von der Mutter des Jungen, den er gerade noch gedemütigt hat. Eine Prügelei zwischen Polizisten ist nicht einfach eine Prügelei, sondern die eine apokalyptische Männer-Schlacht. Die Schüsse auf einen Polizisten von einem Rassisten, die blutig-groteske Auseinandersetzung mit dem Kampfhund im Fahrstuhl. Alles in SHORTA ist darauf programmiert, das Publikum nicht denken zu lassen und auch echte Emotionen gibt es hier nicht, sondern nur eine forcierte Immersions-Spannung. Man ist Teil des Ganzen. Der schwer durchschaubare Weg durch ein teilweise digital erzeugtes, irreal wirkendes Labyrinth hat etwas von einem Videospiel, so wie übrigens auch Sam Mendes' maßlos überschätzter Erste-Weltkriegs-Film 1917 (2019).
Symptomatisch hierfür ist denn auch die Rezension auf der Homepage des Fernsehsenders Danmarks Radio (DR), die an sich zwar eine echte Schande für die Literaturforum der „Kritik“ ist, aber doch auf eine interessante Weise aufschlussreich. Es wird im Grunde nur nacherzählt und jeweils begeistert betont, wo der Film einen so richtig mit dem schweißdurchnässten Popo am Sitz kleben lässt. Und selbst die ideologisch korrekt kritische EKKO-Rezensentin bekam "Atemnot" beim Gucken. Man muss also durchaus anerkennen, dass SHORTA mit seiner durchkalkulierten Dramaturgie und seiner, trotz begrenztem Budget, technischen Sicherheit sehr gut funktioniert als einmaliges Erlebnis. Selbst wenn man die Struktur und Methode durchschaut und eher unwillig darauf reagiert, hat der Film einen die meiste Zeit im Griff. Er ist visuell ausgezeichnet, besonders in den dunklen Szenen mit seinem gelb-orangen, feuerartigen Licht oder dem Schwarz in der abschließenden Baustellenszene, dem düsteren Finale.
Und daher tut es dem Film eigentlich gar nicht gut, dass er durch Videos von US-amerikanischer Polizeibrutalität und dem marxistischem BLM-Terror mit seinen verwüsteten und gangsterartig geplünderten Städten eine ungewollte Aktualität bekommen hat, die vielleicht für mehr Medien-Echo sorgt, aber ins Leere geht. Denn zu dem Thema hat der Film nichts beizutragen. Aber eine politische Seite hat der Film, wenn auch nur ganz nebenbei. Und zwar ist das die symptomatische Abwesenheit des Staates in SHORTA, denn die Polizeiführung schafft es nicht, ihren Beamten in der Not echte Hilfe zu leisten. Das ist natürlich auch ein dramaturgischer Kunstgriff, aber es wirkt authentisch. Einerseits wird die Ghettogegend der Kriminalität überlassen. Andererseits werden auch die Polizisten in ihrer Arbeit oft allein gelassen und wenn etwas schief geht, fallen ihnen verlogene Politiker gerne in den Rücken. Wenn man so will, dann ist SHORTA kein Film über Ghettos, aber indirekt der über eine Kapitulation.