Ole
Christian Madsens dänischer Film KRUDTTØNDEN (2020) beruht auf bekannten Tatsachen: Am
14. und 15. Februar 2015 kam es in Kopenhagen zu
islamischem Terror durch einen Einzeltäter. Zuerst wurde das
Kulturzentrum „Krudttønden” (”Pulverfass”),
wo eine Diskussionsveranstaltung zu dem Thema „Kunst,
Gotteslästerung und Meinungsfreiheit“ stattfand, mit einem
Maschinengewehr beschossen. Vor dem Gebäude
wurde der Dokumentarfilm-Regisseur Finn
Nørgaard getötet, als
er versuchte, den Angreifer zu überwältigen. Am nächsten Abend
wurde der vor einer Synagoge Wache stehende Dan Uzan erschossen.
Zeitungsartikel und TV-Dokus haben den genauen Weg des Täters
natürlich ausführlich und und ausreichend
nachgezeichnet, aber Madsen
interessiert sich für etwas anderes als die reine Fiktionalisierung
dieser Stationen eines Mörders und seiner Opfer. Die Fakten
sind nur das Gerüst für einen ganz und gar
stillen, unspektakulären Film. Madsen geht unter die
Oberfläche und liefert so eine sehr
subjektive Interpretation der Ereignisse.
Es geht also um
die vier Männer, die in diesen zwei
schrecklichen Tagen in Kopenhagen im
Mittelpunkt stehen: Die beiden Opfer, der Täter
und der Polizist, der den Terroristen erschossen hat. Aber es
sind die ineinander laufenden geistigen und biografischen Fäden der
vier Männer, ihre Beziehungen und Unterschiede, die dem Film innere Spannung verleihen. Es sind Männer
mit Problemen in ihrem Leben, die aber gerade an
einem Wendepunkt stehen. Und jeder hat seine eigene Art, mit
Schwierigkeiten umzugehen. Nørgaard, der
die Zusammenarbeit mit dem Fernsehen nicht mehr aushält und wegen
seiner unumstößlichen Ansichten in Streit gerät mit den
Freunden aus dem links-liberalen Milieu. Der
Polizist mit gesundheitlichen Schwierigkeiten und Familienproblemen.
Der trotz stetiger Bemühungen lange
Zeit chronisch arbeitslose Uzan.
Das trifft auch auf den entlassenen Strafgefangenen und
zukünftigen Terroristen mit dem verpfuschten Leben zu, der aber die
einfachste Lösung wählt durch eine Art Mord-Selbstmord mit
anschließender Freikarte ins Höllen-Paradies. Madsen
zeichnet den Weg des Täters akribisch nach, ohne ihm nahezukommen
oder identifikatorische Sympathie entstehen zu lassen. Dieser ist eine
leere Hülle, die sich im Hass Erlösung wünscht.
Die Story
beginnt und endet mit dem von Nicolaj Coster-Waldau gespielten Polizisten, der in einem psychologischen Gespräch die
Frage danach stellt, wie
man ”Mensch bleiben” könne, und
dass er gerne den Täter gefragt hätte, warum er das denn gemacht
hat. ”Mensch bleiben”, das klingt vielleicht etwas pathetisch, und
eigentlich hätte der Film so ein etwas
überdeutliches Motto nicht gebraucht. Andererseits
ist es der Polizist, der dies sagt, und wenn man zum
ersten Mal im Leben dazu gezwungen war, jemanden zu
erschießen, liegt diese ratlose Frage nah. Wie
wird man also im Kampf gegen Dämonen nicht
selbst zum Dämon? Es fängt ja schon mit den
Sicherheitsmaßnahmen an, durch die die Täter Einfluss auf unser Leben
nehmen. Es ist schockierend, welcher Aufwand heutzutage für die
ungestörte Nutzung einer Synagoge getroffen
werden muss.
Um es
übrigens zu präzisieren, der Film beginnt nicht gleich mit dem
Polizisten, sondern mit Bildern der
islamischen Terroranschläge in Paris vom Januar 2015, besonders den
auf die Redaktion der Satirezeitschrift
Charlie Hebdo. Regisseur Finn Nørgaard
wird sich, wie auch der davon inspirierte Terrorist, solche Bilder später im Film ansehen. Und hier wird
der Film sehr persönlich, denn Madsen kannte Nørgaard,
hat auch mal mit ihm gearbeitet. Nørgaard
ist gewissermaßen der theoretische Träger
des Inhalts, vor allem durch die Schlüsselszene des Films, in
der er mit links-liberalen Freunden beim Essen
sitzt und wegen geäußerten Selbstverständlichkeiten
als Rechter bezeichnet wird. Der Tenor ist immer: Wer die
Bösen mit Zeichnungen und Satire reizt, ist selbst schuld, wenn ihm
etwas passiert. Dabei besteht Nørgaard nur auf
dem grundsätzlichen Recht auf solch eine Satire, mehr nicht.
Und er entlarvt die linke Heuchelei, wenn er etwa auf die
Privatschulen hinweist, auf die diese ihre Kinder schicken. Es
war eine gute und wichtige Idee, diese
wirklich sehr heftige und fast
ausartende Diskussion in den Mittelpunkt des Films
zu stellen, denn sonst könnte man den
ansonsten so ruhigen, friedlichen und unaggressiven Film KRUDTTØNDEN nicht zu Unrecht als verlogen und verharmlosend betrachten.
Aber auf diese Weise geht die Rechnung auf.
Wie
sehr Madsen darum bemüht ist, trotz der erzählerischen Nähe zum Terroristen zu ihm
auf Distanz zu bleiben, zeigt noch einmal der Vergleich zweier
Sterbeszenen. Wenn Nørgaard stirbt, schwenkt die Kamera nach
oben in den hellen Himmel. Wenn der Terrorist stirbt, schwenkt sie in
den dunklen Nachthimmel. Und dann sieht man ihn von oben und die
Kamera geht zurück, immer weiter und nimmt ihn nicht mit. Er liegt
da immer kleiner und einsamer auf
dem Asphalt. Aber es ist einem egal. Auch wenn man das Ende kennt, ist man erleichtert. Endlich. Er wollte es ja so. Der Film macht aus ihm
also wirklich keine tragische Figur.