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Montag, 13. April 2020

Ole Christian Madsens KRUDTTØNDEN – Mensch bleiben


Ole Christian Madsens dänischer Film KRUDTTØNDEN (2020) beruht auf bekannten Tatsachen: Am 14. und 15. Februar 2015 kam es in Kopenhagen zu islamischem Terror durch einen Einzeltäter. Zuerst wurde das Kulturzentrum „Krudttønden” (”Pulverfass”), wo eine Diskussionsveranstaltung zu dem Thema „Kunst, Gotteslästerung und Meinungsfreiheit“ stattfand, mit einem Maschinengewehr beschossen. Vor dem Gebäude wurde der Dokumentarfilm-Regisseur Finn Nørgaard getötet, als er versuchte, den Angreifer zu überwältigen. Am nächsten Abend wurde der vor einer Synagoge Wache stehende Dan Uzan erschossen. Zeitungsartikel und TV-Dokus haben den genauen Weg des Täters natürlich ausführlich und und ausreichend nachgezeichnet, aber Madsen interessiert sich für etwas anderes als die reine Fiktionalisierung dieser Stationen eines Mörders und seiner Opfer. Die Fakten sind nur das Gerüst für einen ganz und gar stillen, unspektakulären Film. Madsen geht unter die Oberfläche und liefert so eine sehr subjektive Interpretation der Ereignisse.

Es geht also um die vier Männer, die in diesen zwei schrecklichen Tagen in Kopenhagen im Mittelpunkt stehen: Die beiden Opfer, der Täter und der Polizist, der den Terroristen erschossen hat. Aber es sind die ineinander laufenden geistigen und biografischen Fäden der vier Männer, ihre Beziehungen und Unterschiede, die dem Film innere Spannung verleihen. Es sind Männer mit Problemen in ihrem Leben, die aber gerade an einem Wendepunkt stehen. Und jeder hat seine eigene Art, mit Schwierigkeiten umzugehen. Nørgaard, der die Zusammenarbeit mit dem Fernsehen nicht mehr aushält und wegen seiner unumstößlichen Ansichten in Streit gerät mit den Freunden aus dem links-liberalen Milieu. Der Polizist mit gesundheitlichen Schwierigkeiten und Familienproblemen. Der trotz stetiger Bemühungen lange Zeit chronisch arbeitslose Uzan. Das trifft auch auf den entlassenen Strafgefangenen und zukünftigen Terroristen mit dem verpfuschten Leben zu, der aber die einfachste Lösung wählt durch eine Art Mord-Selbstmord mit anschließender Freikarte ins Höllen-Paradies. Madsen zeichnet den Weg des Täters akribisch nach, ohne ihm nahezukommen oder identifikatorische Sympathie entstehen zu lassen. Dieser ist eine leere Hülle, die sich im Hass Erlösung wünscht.

Die Story beginnt und endet mit dem von Nicolaj Coster-Waldau gespielten Polizisten, der in einem psychologischen Gespräch die Frage danach stellt, wie man ”Mensch bleiben” könne, und dass er gerne den Täter gefragt hätte, warum er das denn gemacht hat. ”Mensch bleiben”, das klingt vielleicht etwas pathetisch, und eigentlich hätte der Film so ein etwas überdeutliches Motto nicht gebraucht. Andererseits ist es der Polizist, der dies sagt, und wenn man zum ersten Mal im Leben dazu gezwungen war, jemanden zu erschießen, liegt diese ratlose Frage nah. Wie wird man also im Kampf gegen Dämonen nicht selbst zum Dämon? Es fängt ja schon mit den Sicherheitsmaßnahmen an, durch die die Täter Einfluss auf unser Leben nehmen. Es ist schockierend, welcher Aufwand heutzutage für die ungestörte Nutzung einer Synagoge getroffen werden muss.

Um es übrigens zu präzisieren, der Film beginnt nicht gleich mit dem Polizisten, sondern mit Bildern der islamischen Terroranschläge in Paris vom Januar 2015, besonders den auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Regisseur Finn Nørgaard wird sich, wie auch der davon inspirierte Terrorist, solche Bilder später im Film ansehen. Und hier wird der Film sehr persönlich, denn Madsen kannte Nørgaard, hat auch mal mit ihm gearbeitet. Nørgaard ist gewissermaßen der theoretische Träger des Inhalts, vor allem durch die Schlüsselszene des Films, in der er mit links-liberalen Freunden beim Essen sitzt und wegen geäußerten Selbstverständlichkeiten als Rechter bezeichnet wird. Der Tenor ist immer: Wer die Bösen mit Zeichnungen und Satire reizt, ist selbst schuld, wenn ihm etwas passiert. Dabei besteht Nørgaard nur auf dem grundsätzlichen Recht auf solch eine Satire, mehr nicht. Und er entlarvt die linke Heuchelei, wenn er etwa auf die Privatschulen hinweist, auf die diese ihre Kinder schicken. Es war eine gute und wichtige Idee, diese wirklich sehr heftige und fast ausartende Diskussion in den Mittelpunkt des Films zu stellen, denn sonst könnte man den ansonsten so ruhigen, friedlichen und unaggressiven Film KRUDTTØNDEN nicht zu Unrecht als verlogen und verharmlosend betrachten. Aber auf diese Weise geht die Rechnung auf.

Wie sehr Madsen darum bemüht ist, trotz der erzählerischen Nähe zum Terroristen zu ihm auf Distanz zu bleiben, zeigt noch einmal der Vergleich zweier Sterbeszenen. Wenn Nørgaard stirbt, schwenkt die Kamera nach oben in den hellen Himmel. Wenn der Terrorist stirbt, schwenkt sie in den dunklen Nachthimmel. Und dann sieht man ihn von oben und die Kamera geht zurück, immer weiter und nimmt ihn nicht mit. Er liegt da immer kleiner und einsamer auf dem Asphalt. Aber es ist einem egal. Auch wenn man das Ende kennt, ist man erleichtert. Endlich. Er wollte es ja so. Der Film macht aus ihm also wirklich keine tragische Figur.