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Sonntag, 1. Dezember 2019

FEUER UND FLAMME – Ein Film wie eine Kirmes

Der schwedische Film FEUER UND FLAMME (2019, schw.: Eld & Lågor) vom Regie-Duo Måns Mårlind und Björn Stein war der Eröffnungsfilm der Nordischen Filmtage Lübeck, und in den letzten Jahren gab es tatsächlich keinen Eröffnungsfilm, der sich so sehr dafür eignete, einer zu sein. Die perfekte Wahl. Und das sage ich jetzt nicht einfach leichthin. Ich habe sicherheitshalber nachgeguckt in den vergangenen Programmen. Da wird auch die Einschränkung bedeutungslos, dass es nicht der beste Eröffnungsfilm der letzten Jahre war. Denn FEUER UND FLAMME ist rein äußerlich einfach uneingeschränkt schön anzusehen mit einem mehr als gelungenen und äußerst stilvoll-fantasiereichen Production Design im Vintage-Stil, denn der Film spielt ja 1940. FEUER UND FLAMME ist bunt, knallig, visuell hemmungslos, aber doch immer geschmackvoll. Die Farben, die Lichter, die Kostüme, alles ist sehr sorgfältig aufeinander abgestimmt.

Und in dieser Umgebung spielt sich dann auch das Geschehen ab wie ein abwechslungsreiches Feuerwerk mit unzähligen Anekdoten, Geschichten, Details, Bildern. Erzählt wird nicht „Romeo und Julia auf dem Dorfe“, sondern eben „Romeo und Julia auf der Kirmes“, mit dem Handlungsort „Gröna Lund“, dem Vergnügungspark auf der Stockholmer Halbinsel Djurgården. Da bahnt sich eine unerwünschte Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Menschen aus zwei verfeindeten, nebeneinander und vor allem gegeneinander existierenden, Familienunternehmen an. Alles beruht übrigens im Prinzip auf Tatsachen, Fotos im Nachspann untermauern das. Die eine Familie hat eine lange feine Tradition hinter sich, die anderen sind wohl erst gerade ansässig gewordene Fuhrleute, weshalb der vornehme Chef sie immer mit „tattare“ beschimpft, also „Zigeuner“, womit aber hier wohl nicht die Volksgruppe gemeint ist. Oder doch? Womit ich schon bei einem  Problem des Films wäre, seiner ungeordneten Überfülle.

Diese Überfülle steht allerdings in einer filmischen Tradition. Gleich zu Anfang, wenn die Kirmes-Kapelle mit Zigeunerjazz loslegt, fühlt es sich an, als wäre man in einem Film von Emir Kusturica. Die ganze poppig-bunte Vintage-Verpackung, angereichert mit moderner Musik, erinnert außerdem an die Extravaganzen von Baz Luhrman MOULIN ROUGE (2001) und ROMEO UND JULIA (1996). Und dann muss auch noch Michael Ende herhalten, wenn da Momos „graue Herren“ umherlaufen, nur dass sie es diesmal nicht ganz metaphysisch auf Zeit, sondern ganz banal auf Geld abgesehen haben. Und dann steht der Film in einer gleichzeitigen Reihe mit modernen Attraktions-Filmen, die sich der traditionellen Vergnügungsindustrie widmen, sei es der Barnum-Film THE GREATEST SHOWMAN (2017), sei es Tim Burtons Neuverfilmung von DUMBO (2019). Wenn Themen irgendwie in der Luft liegen, greifen oft mehrere zu.

Und FEUER UND FLAMME ist im Prinzip tatsächlich das geworden, was er sein will, vor allem, wenn ich an die Aussage eines der beiden Regisseure nach der Pressevorführung denke, dass der Film wie eine Kirmes sein solle. Aber dabei ist so viel auf der Strecke geblieben, wodurch einen die Geschichte wirklich berühren könnte. So habe  ich dagesessen, habe mit Freude das Dekor betrachtet, habe den Figuren zugesehen bei ihren Problemen, aber es hat mich alles völlig kalt gelassen. Bei diesem Versuch, aber auch wirklich alles übermäßig lebendig wirken zu lassen, werden die schönsten Details versenkt und verschenkt. Dass ich gerne mehr von den tanzenden Hühnern, denen man Feuer unter den Pfoten macht, gesehen hätte, ist zugegebenermaßen ein ganz persönlicher und subjektiver Wunsch, aber auch die doch so zentrale, magische Szene vor dem Haus mit den Flüchtlingskindern bleibt fragmentarisch, hat nicht die Magie, die sie haben müsste. 

Es sind immer wieder Andeutungen, Entwürfe. So voll, wie der Film in jeder Hinsicht ist, wirkt er mitunter wie der Zusammenschnitt eines längeren Films, einer Fernsehserie. Es fehlt Timing, Rhythmus, statt Jahrmarkt ist es manchmal eher eine bunt-funkelnde Rumpelkammer. Und den Figuren fehlt es an Logik. Es reicht nicht, einfach interessante und spannende Storys, die einem die Nachkommen des Liebespärchens erzählt haben, zusammenzufügen. Und die vielen, ich sage mal, Problemthemen, mit denen der Film auch noch angereichert ist, werden dadurch zu reinen Versatzstücken: Da werden Nazismus in Schweden, Homosexualität, psychische Erkrankung und darauf folgende Entmündigung sowie die Flüchtlingsproblematik anhand eines deutschen Deserteurs und dessen Auslieferung angesprochen. Das ist ein ganz schöner Batzen und eindeutig zu viel. Was wirklich schade ist, weil eine wirklich schöne, wahre und ziemlich unglaubliche Geschichte darunter begraben wird. Wenn man am Ende während des Nachspanns all die Fotos sieht, bedauert man, diese Menschen und ihre Geschichte nicht wirklich kennengelernt zu haben.


Ninni Nilsson (Frida Gustavsson), John Lindgren (Albin Grenholm)
© Aril Wretblad (Quelle: Nordische Filmtage Lübeck)