MASTER CHENG IN POHJANJOKI (2019) ist der neue Film des Finnen Mika Kaurismäki, der ein bisschen wie Wim Wenders in all den Jahrzehnten seiner Karriere von einem nationalen Indie-Regisseur zum Weltregisseur wurde und den es auch schon in die USA verschlug. Beide haben übrigens Filme über brasilianische Musik gemacht. Wenders seinen bekannten BUENA VISTA SOCIAL CLUB (1999) und Kaurismäki BRASILEIRINHO (2005). Mit MASTER CHENG holt Kaurismäki jetzt in Gestalt eines chinesischen Kochs aus Shanghai die Welt nach Finnland.
MASTER CHENG ist einer dieser Filme, gegen die man nichts haben kann, aber man kann auch nicht so viel wirklich Überzeugendes für sie sagen, was einer der Grundvoraussetzungen für allgemeines Gefallen zu sein scheint. So sahen es jedenfalls viele Zuschauer der Nordischen Filmtage 2019 und wählten Kaurismäkis aktuelles Werk zum Publikumsliebling, was den werbeträchtigen Publikumspreis bedeutet. Dazu gehörte ich nicht, denn auf den Filmtagen habe ich den Film nicht gesehen. Da ja begrenzt ist, was man gucken kann und ich mich vollständig durch die schöne Retrospektive geguckt habe, ließ ich MASTER CHENG mit der Überlegung aus, dass Filme mit Kochen und ein bisschen nicht zu scharf gewürzter Multikulti-Soße darüber sowieso immer den Weg in unsere Kinos finden. Und da habe ich mich doch einmal nicht geirrt.
Der Film handelt von einem Chinesen, der auf der Suche nach einem bestimmten Mann in ein kleines nordfinnisches Dorf kommt, dort in der Dorfschenke strandet, brav deren Wurst mit pampigem Kartoffelbrei isst, dann selbst den Kochlöffel schwingt und der jungen, hübschen Besitzerin nicht nur zum ersten Mal vernünftigen Gewinn beschert, sondern das ganze Dorf gesund macht. Am chinesischen Wesen kann also die Welt körperlich genesen. Genau die richtige Botschaft in einer Zeit, wo der chinesische Wirtschaftsimperialismus sich mit unbegrenzter staatlicher Unterstützung durch die ganze Welt und vor allem westliches Technik-Know-How frisst. Aber man sollte bei so einem harmlos-hübschen Film jetzt nicht politparanoid werden. Gegen gesundes chinesisches Essen und Schattenboxen ist ja nichts einzuwenden, aber andererseits ist deren Anpreisung auch nicht sonderlich originell, da bei einem städtischen Kinopublikum die im Film verbreiteten Weisheiten ja eigentlich sowieso zur Allgemeinbildung gehören.
Auf der anderen Seite der Story taut der etwas verkniffene, vom Großstadt-Stress geplagte und im Dauerclinch mit seinem genervten kleinen Sohn liegende Koch am finnischen Wesen auf und entspannt ganz menschlich durch Sauna, Wodka, Liebe und die finnische Weite. Da wird Kaurismäki dann mal ganz authentisch volkstümlich, so wie beispielsweise bei dem dicken Furz, dessen prötendes Echo bei einem bestimmten Gast immer vom Klo her durch das ganze Lokal weht. Wichtig jedenfalls ist, dass am Ende alle glücklich sind. Feelgood-Kino eben. Mit dem Begriff wird ja sogar Werbung gemacht, was heißt, dass er auf die Menschen etwas Anziehendes hat. Da das bei mir nicht der Fall ist, stehe ich also vor einem kultursoziologischen Problem, das ich zu lösen versuchen sollte. Und gerade am Tag zuvor hatte ich THE SECRET – TRAUE DICH ZU TRÄUMEN (2020) gesehen, einen „Positive Thinking“-Film, im Grunde ebenfalls Feelgood-Kino, auch wenn dieser eher als Bestseller-Verfilmung vermarktet wird, aber ich nehme an, dass die Vorlage als echtes Feelgood-Buch verfasst wurde.
In Feelgood-Filmen, wie auch in MASTER CHENG, passiert ja nicht übermäßig viel. Es gibt viel vorhersehbaren Leerlauf. Also hatte ich während MASTER CHENG genug Gelegenheit, mit „Bruchstücke einer Theorie des Feelgood-Kinos“ zu beginnen, um festzustellen, dass solche Filme nicht weniger kühl durchkonstruiert sind als ein Blockbuster-Franchise-Schinken. Es wird konsequent nie zu dramatisch, tragisch oder Ähnliches. Die Handlung löst sich gerne im Wohlgefallen auf, so wie bei dem Waldspaziergang des Sohnes in MASTER CHENG, der ganz kurz mystisch-bedrohlich aufgeladen wird, um dann abzubrechen, ein paar Einstellungen lang künstliche „Das Kind ist weg“-Spannung aufbaut, um den Kleinen sofort wieder auftauchen zu lassen. Zu viel geistige Anstrengung oder Aufregung bei der Rezeption würde das Fühlgut-Gefühl stören. Der Pegel darf niemals zu weit nach oben oder unten ausschlagen. Gemüt, Herz und Sinne dürfen nicht überanstrengt werden.
MASTER CHENG und THE SECRET haben übrigens erstaunlich viel gemeinsam. Es kommt ein Mann von außen und macht eine Gemeinschaft, ganz besonders einen bestimmten weiblichen Menschen, glücklich. Hier ist es eine Familie, dort eine ganze Dorfgemeinschaft. Im Grunde ist er der berühmte Prinz, der Aschenputtel an ihren rechtmäßigen Platz versetzt. Man sieht, dass hier auf direkt revolutionäre Art und Weise Elemente der rückschrittlichen Gender-Theorie unterlaufen und sabotiert werden. In solchen Filmen kann man durchatmen und sich erholen von den menschenfeindlichen bürokratisch-technokratischen Ideologien, die die westliche Welt durchwabern. Hier ist die Welt noch so, wie sie sein sollte. Und dazu gehört Betulichkeit. Wie am liebsten im wahren Leben. Denn wer will im wahren Leben schon Kinoaufregung erleiden?
Fortsetzung folgt... (Der nächste Feelgood-Film kommt bestimmt.)