Auf dem Papier ist Ulaa
Salims dänischer Film SONS OF DENMARK (2019, Danmarks Sønner) eine Art
Dystopie-Thriller der ganz nahen Zukunft. Ein paar Jahre nach
einem islamischen Terror-Bombenattentat hat in Dänemark
eine extreme rechte Partei die Chance, den Ministerpräsidenten zu
stellen. Der hat Ausweisungen, Rückführungen, Entzug der
Staatsbürgerschaft und andere Maßnahmen in Aussicht gestellt. Eine
Gruppe junger Moslems will diesen töten, aber es geht schief wegen
eines Undercover-Ermittlers der Polizei, dem aber nach und nach die
wahre Natur dieses Politikers klar wird. „Söhne Dänemarks“, die
Gruppe vom Filmtitel, der auf Deutsch noch den Zusatz
BRUDERSCHAFT DES TERRORS bekommen hat, sind eine Vereinigung
gewalttätiger, mörderischer Rechtsextremer, die im Laufe des Films
von der Polizei abgehört werden und im Geheimen mit dem von Rasmus Bjerg gespielten Politiker verbunden sind. Im Film
erfüllen sie nur eine Funktion als böse Dämonen und bleiben
abstrakt gesichtslos.
Zunächst
einmal ist der Film ziemlich langweilig, und es ist sehr schnell die
Luft raus aus der Story. Nach einer halben Stunde spätestens quält
sich die restliche Zeit der insgesamt zwei Stunden Überlänge nur so
dahin. Der gesamte Genreteil ist aus lieblosen Versatzstücken
zusammengezimmert. Der ganze Polizeiteil knarrt zusätzlich bedenklich wegen der hölzernen und vorhersehbaren Klischees. SONS OF DENMARK ist nur interessant für Radikale
und das mit ihnen sympathisierende Kulturbürokratiepublikum, das
sofort bei jeder Bestätigung seines Weltbildes jubelt. Aber die Debatte
um den Film ist ganz interessant.
Der Film war gleich bei
seiner Premiere in Dänemark umstritten. Man muss dazu noch ergänzen,
dass es in Dänemark die Erscheinung des durchgeknallten und höchst
unsympathischen Rechtsaußen-Außenseiters Rasmus Paludan und seiner
Partei „Strammer Kurs“ gibt. Paludan holt sehr erfolgreich mit
provokanten Aktionen das Böse in leicht aufzustachelnden
Einwanderergruppen heraus. Ich habe keine Lust, ins Detail zu gehen,
aber es handelt sich dabei um geschmacklose, überflüssige Aktionen,
die Paludan auch schon vor den Kadi und ins Strafregister gebracht haben.
Jedenfalls rezensierte
Alex Ahrendtsen, ein Parlaments-Abgeordneter der
national-konservativen Dänischen Volkspartei, SONS OF DENMARK für
die Tageszeitung Berlingske und bezeichnete den Film sinngemäß als
Aufruf zum Mord und als gefährlich und propagandistisch. Vor allem
sei er gefährlicher als Rasmus Paludan, womit der Politiker von einem
staatspolitischen Standpunkt aus gesehen durchaus Recht hat, denn Paludan ist ein erfolgloser Politiker.
Filmregisseur Salim wollte sich in keine detaillierte Diskussion
einlassen und redete bloß etwas vom Humanismus des Films und dass Ahrendtsen
mit seinen Aussagen nur ein Beleg für die Radikalisierung der
Gesellschaft sei.
Problematisch und propagandistisch ist der Film aber tatsächlich. Die
Ausführung ist voller Widersprüche, Verdrehtheiten und einem in ihrer ganzen Grundlage vereinfachenden Weltbild. Islamischer Terrorismus ist hier die Sache
von bloß „ein paar Idioten“ und an sich überhaupt kein Problem.
Salim hat in der Beziehung ein ganz und gar nicht humanistisches
Einfühlungsproblem. Eine Art Empathieverweigerung macht sich da
bemerkbar: Der Freund des am Anfang bei dem Anschlag getöteten
Mädchens taucht am Ende noch einmal ganz kurz auf als rechtsextremer
Mordbube. Für ihn interessiert sich Salim also nur noch in Form von
dieser einen einzigen Alibi-Großaufnahme. Mehr ging ja auch nicht,
denn würde man mehr über den Weg dieses jungen Mannes wissen, dann wäre die uneingeschränkte und kategorische Entmenschlichung und Dämonisierung
des Gegenübers nicht mehr möglich.
Und überhaupt ist das
Ganze im Grunde keine Zukunftsvision. Denn eigentlich ist in SONS OF
DENMARK die Gegenwart gemeint. Der rechtsextreme Politiker ist ja ein
Wolf im Schafspelz, einer, der mit einem Lächeln und schönen Worten
seine wahre Natur der Gewalt und des Mordes verbirgt. Aber genau das
wirft man ja an sich allen Vertretern national-konservativer Parteien
vor. So wird die scheinbare Dystopie eigentlich zur Utopie, die
endlich die Anwendung von Gewalt erlaubt. Endlich hat man eine
Rechtfertigung, eine ideologische und logische Untermauerung für
Gewalt. Denn die Wölfe in Schafspelzen muss man töten, damit nichts
Schlimmeres passiert. Wohlgemerkt! Das hier ist reine Theorie
aufgrund Inhalt und Struktur des Films. In der Praxis ist er einfach
zu langweilig, um tatsächliche Wirkung zu haben.
Dabei ist Salim
eigentlich ein wirklich spannender und interessanter Regisseur, der
mit seinen Kurzfilmen über Familie, Freundschaft, Liebe ein echtes
Talent für das Intime gezeigt hat. Auch SONS OF DENMARK enthält in
großen Teilen eine Familiengeschichte, der aber die Authentizität
seiner Kurzfilme fehlt. Bei EKKO Shortlist kann man vier von Salims
Kurzfilmen sehen, jeder auf seine Art sehr schön: UNG
FOR EVIGT (2012, Jung für immer), DET
RENE HJERTE (2014, Das reine Herz),
VORES FÆDRES SØNNER (2016, Die Söhne
unserer Väter) und den Abgangsfilm von der Filmhochschule FÆDRELAND
(2017, Vaterland).
Besonders FÆDRELAND und UNG FOR EVIGT
zeigen eine bemerkenswerte dramaturgische
Kunst der Verdichtung, vermischt mit poetischen Qualitäten.
FÆDRELAND erzählt
in 30 Minuten den Besuch eines sehr dänisch gewordenen Sohnes bei seinem Vater in
Jordanien, der als Einwanderer Dänemark enttäuscht wieder verließ. UNG FOR
EVIGT zeigt in 15 Minuten sehr innerlich und bewegend eine junge
Beziehung vom Ende bis zum Anfang.