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Sonntag, 4. Oktober 2020

Niels Arden Oplevs SER DU MÅNEN, DANIEL – Familie und Würde

© Toolbox Film

Niels Arden Oplevs Film SER DU MÅNEN, DANIEL (2019, Siehst du den Mond, Daniel”) entstand nach dem gleichnamigen internationalen Bestseller von Puk Damsgård von 2015, der 2017 auf Deutsch unter dem Titel ”Geisel des IS: Die wahre Geschichte einer 13-monatigen Gefangenschaft“ erschien. Oplev ist einerseits ein international bekannter, routinierter Thriller-Regisseur, der mit MÄNNER, DIE FRAUEN HASSEN (2009) den ersten der skandinavischen Millennium-Filme über Lisbeth Salander drehte, aber auch die wenig überzeugende Neuverfilmung des Hollywood-Films FLATLINERS (2017). Wie bei vielen der international tätigen dänischen Regisseure sind dann eben doch die dänischen Filme die intimerem, die besten und überzeugendsten. In TO VERDENER / ZWEI WELTEN (2008) beschäftigte er sich mit religiösem Dogmatismus anhand einer wahren Geschichte um die Zeugen Jehovas. Und KAPGANG (2014) ist ein schöner 70er-Jahre-Familienfilm, an den ich mich übrigens auch deshalb gut erinnern, da ich ihn damals noch schnell vor einer Bahn-Rückfahrt aus Kopenhagen in Dreyers altem Dagmar-Kino sehen konnte.

SER DU MÅNEN, DANIEL beginnt erst einmal als Porträt des jungen Daniel Rye, eines jungen Mannes aus dem jütländischen Hedegård bei Give, etwa zwischen Vejle und Herning. Daniel hat sein Leben fest geplant. Die ersten Bilder sind verschwommen, um sich dann scharf zu stellen auf eine Turnergruppe, die vor dem Einmarsch in eine Turnhalle mit Zuschauern auf den vollbesetzten Rängen steht. Dieser kleine Kunstgriff wirkt wie ein Vorgriff auf Daniels späteren Verlust seiner Brille, die die Entführer gleich zu Beginn ihrer vielen Folterungen zertreten werden. Es folgt eine Turnvorstellung, die das Leben von Daniel durch eine Knöchel-Verletzung von einem Augenblick auf den anderen in vorher ungedachte Bahnen wirft. Er entscheidet sich sehr intuitiv für die Laufbahn eines Fotografen, und gleich bei seinem ersten Assistenz-Auftrag in Mogadischu fühlt er sich ganz in seinem Element. Es ist für ihn wie eine Mission, um auf Dinge aufmerksam zu machen. Bei einem Job im kriegsverwüsteten Syrien sind dann auf einmal IS-Leute da, wo sie nicht sein sollten, und so wird er Mitte 2013 entführt und kontinuierlich grausam gequält durch diese Religionsfaschisten, die als eine Bande ganz gewöhnlicher perverser Krimineller, Mörder, Folterer und Sadisten in die Geschichte eingegangen sind.

Und ab da bekommt die Handlung zwei weitere Stränge, die mit den heimlichen Bemühungen um Daniels Freilassung zu tun haben. Einmal die Anstrengungen der Familie, das Geld zusammenzubekommen durch Spenden, Kredite, alles ohne jede Hilfe vom dänischen Staat, der grundsätzlich jede Verhandlung mit Terroristen ablehnt. Und als Bindeglied ist da Anders W. Berthelsen als Vermittler, ein Ex-Militär. Das alles ist sehr flüssig erzählt und über die immerhin 135 Minuten geschickt ineinander verwoben. Der Film lässt sich Zeit, arbeitet zwar mit dramaturgisch gelenkter Spannung, behält aber im Ganzen die Ruhe. Die Wirklichkeit ist spannend genug, da braucht es keine stilistischen Kunstgriffe und Effekte. Visuelle Unterschiede gibt es vor allem durch das Licht. Da ist das klare Licht in Dänemark, wo die Welt irgendwie aussieht, wie sie aussehen soll. Da ist das grelle, mitunter fahlgelbe Sonnenlicht der Wüstengegenden. Und dann ist da das dunkle, hässliche Grün des Gefängnisraums. Es werden keine Daten eingeblendet, sodass man keinen Überblick über den zeitlichen Verlauf bekommt. Erst hinterher erfährt man, dass 13 Monate vergangen sind.

Es ist ganz sicher kein Film für die ganze Familie, sondern einer über eine Familie und einer über eine Zwangsgemeinschaft, in der trotz allem solidarisches Verhalten und Mitmenschlichkeit möglich sind. Und deshalb gewinnen die schrecklichen Szenen nicht die geistige Oberhand. Oplev hat keinen Gefängnis-Horrorthriller gedreht, in dem er versucht, den Zuschauer pausenlos mit dem Grauen des Erlebten zu terrorisieren. Rye entstammt einer Familie, ohne deren Mühen er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht lebend nach Hause gekommen wäre. Die Eltern sind LKW-Fahrer und Verkäuferin im Spielwarengeschäft. Dieser Kampf bis zur Selbstaufgabe um Geld, und das von Menschen, die gar nicht viel haben und jetzt bitten und betteln müssen, hat etwas sehr Heroisches.

Und dann gibt es die Gemeinschaft der Geiseln und deren Solidarität untereinander. Rye ist hier Teil einer Gruppe von Gefangenen, zu der auch der später vor laufender Kamera ermordete US-Journalist James Foley kommt. Ein Denkmal wird hier nicht Rye gesetzt, dessen Schwächen und Ängste sehr ehrlich gezeigt werden. Aber Foley wird hier ein Denkmal gesetzt. Er ist ein Beispiel für die anderen, wie man angesichts von Folter, Hunger, ständiger Todesgefahr seine Würde behält, wie man es schafft, sich nicht erniedrigen zu lassen und sich trotzdem nicht vom Hass anstecken zu lassen. Der Film endet mit der Trauerfeier für James Foley in den USA, wo Rye den von ihm auswendig gelernten letzten Brief des Journalisten vorträgt. Da geht es beispielsweise ganz einfach um Kindheitserinnerungen an die Geschwister, um Familie eben.