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Sonntag, 12. Juli 2020

Jesper W. Nielsens UNDTAGELSEN – Bös psychologisch


Man kann sich am Anfang von Jesper W. Nielsens neuem dänischen Film UNDTAGELSEN / THE EXCEPTION (2020) leicht täuschen lassen. Da ist vor allem die bemerkenswert starke Besetzung der vier handlungstragenden Frauen mit Sidse Babett Kndusen, Amanda Collin, Danica Curcic, Lene Maria Christensen. Eine männliche Nebenrolle wird gespielt von Simon Sears, einem Star aus der Pastoren-TV-Serie HERRENS VEJE / DIE WEGE DES HERRN (2017-18). Viele tiefschürfende psychologische Erkenntnisse zum Thema Völkermord, sogar als lesbare Schrifttafeln, werden eingeblendet und aufgesagt. Das sorgt für ehrerbietige Ehrfurcht. Dazu eine ungeheuer gepflegte Atmosphäre, im Einklang mit der Bedeutung suggerierenden Musik – viel gedehntes Cello! Das kann auch den hartgesottensten Zuschauer  einlullen. Und wenn man nicht irgendwann innerlich stopp sagt, beginnt man noch, über die Zusammenhänge von Unzusammenhängendem, von Unsinn nachzudenken. Denn wer nicht per se auf Anhäufung von Prätentiösität allergisch reagiert, wer sich also vom großen, geschickt gedämpften Kunst-Vorschlaghammer betäuben lässt, könnte sich verpflichtet fühlen, dem Ganzen folgen, es verstehen zu wollen, vielleicht noch nach dem Kino darüber nachzudenken. Nur unterschätzte Kardinaltugenden wie Schulterzucken und Gleichgültigkeit bieten einen rettenden Ausweg.

Und wenn ich hier von Unsinn schreibe, müsste das ja nicht grundsätzlich negativ gemeint sein. Denn aus einer gesunden Distanz betrachtet, handelt es sich bei UNDTAGELSEN um puren, reinen, echten Trash. Allerdings Trash, der bloß keiner sein will. Übervoll, verworren, ididotisch, was könnte das für ein irrer B-Film sein, so voll gestopft mit Handlung, Handlungen und Themen. Und dann diese B-Film-artige Weisheit, die einem dieser Film, der in einem Institut zur Erforschung von Völkermord spielt, in unfreiwillig grandioser Dämlichkeit vermittelt: Hüte dich vor Frauen, die an solch einem Ort arbeiten, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Die haben allesamt nicht nur einen gut versteckten Dachschaden, die sind auch noch durchweg gemeingefährlich.

Eine Mitarbeiterin war mal in afrikanischer Geiselhaft und konnte sich befreien, erzählte allerdings die Lüge, dass sie sich mit einem Kindersoldaten angefreundet hatte, der sie frei ließ. In Wirklichkeit hat sie ihn erstochen, um dann wegzulaufen. Jetzt ist sie total psychisch gestört und hat ständige Visionen von dem toten schwarzen Jungen. Eine hat in jungen Jahren schon Gicht, damit sie laut Drehbuch gesunde Menschen hassen, ihr Freund ihr weglaufen und man ihre Tabletten vertauschen kann, damit sie so richtig krank wird. Eine hat Depressionen, Entfremdungsgefühle, wird gemobbt und möchte der schlimmsten Kollegin am liebsten mit einem Hocker den Kopf zu Brei schlagen, gespielt übrigens von einer faszinierenden und selten so gesehenen grau wirkenden Sidse Babett Knudsen. Und eine vierte Kollegin ist einem serbischen Kriegsverbrecher hörig und hat von diesem sexuelle Visionen. Die Arbeit in dem Institut macht sie quasi als Buße. Mal ehrlich. Geht's noch bekloppter? Und ja, durch den Film spuken tatsächlich gleich zwei psychopathische Geister. Nur eine krankhafte Berufsbetroffenheit kann das ernst nehmen und es nicht saukomisch finden.

Wobei man bei einem anderen Problem ankommt. Wie viel Ironie ist da nun doch in dem Film? Sehe ich die Ironie, weil ich sie sehen will, oder ist das alles bis ins Letzte total ernst gemeint und damit einfach grottenschlecht. Da ist beispielsweise ein Einbruch in ein Haus, den eine der intellektuellen Frauen in einer Kleidung wie aus einem Nick-Knatterton-Cartoon durchführt. Fehlt nur noch das Schild auf dem Rücken mit der Aufschrift „Einbrecher“. Und am Ende taucht eine Polizistin auf, die perfekt die Theorie der Psychologie beherrscht und auch so verquast spricht, was schrecklich bizarr und unpassend wirkt.

Oder der alte, angegraute, linke, afrikaerfahrene schwedische Journalist, dem die Weiber nicht widerstehen können, ja, für den sie morden könnten. Vielleicht, weil er im Bett eine sexy Predigt hält, dass unsere Nachfahren wegen der Ausbeutung der Restwelt uns mal so betrachten würden wie die Deutschen ihre Nazi-Großeltern. Nun ist erstens das große Interesse der Enkel für ihre während der Nazi-Zeit erwachsenen Großeltern in Deutschland kleiner gewesen, als man im Nachhinein glauben machen möchte. Und zweitens kann sich der Glaube, die weiße westliche Zivilisation sei an allem Elend der Welt Schuld, durchaus mit dem Größenwahn der Imperialisten und Raubkolonialisten messen. Aber vielleicht ist es ja gerade dieser moralistisch anklagende Größenwahn, der ihn so anziehend macht.

Der einzige kleine Teil des Films, der eine Reihe von spannenden und auch intensiven Szenen hervorbringt, ist ganz einfach der um eine Gruppe von Frauen, die ständig über das Böse schreiben, aber selber im Privaten das Böse herauslassen, vor allem durch den grausamen Umgang mit einer Mitarbeiterin, die mächtig gemobbt wird, noch angeheizt durch anonyme Drohmails. Und das bei Menschen, die es doch besser wissen sollten, weil sie alle Theorien kennen. In diesen Szenen geht es um das Böse, das in jedem steckt, das keine Erziehung, keine Pädagogik, keine Psychologie auslöschen kann. Denn es bleibt im Kern eine moralisch-religiöse Frage. Aber dabei belässt es der Film ja nicht. Und zu allem Überfluss versucht der Film am Ende mit einer  Wendung zu einem de-Palma-artigen Thriller über Lüge und Wirklichkeit aus der eigenen Verwurstung herauszukommen und scheitert peinlichst. Was bleibt, ist eine immer mehr ins Leblose abgleitende Filmkonstruktion, die viel zu sehr auf theoretischen Prämissen beruht.