Man kann sich am Anfang
von Jesper W. Nielsens neuem dänischen Film UNDTAGELSEN / THE EXCEPTION (2020) leicht
täuschen lassen. Da ist vor allem die bemerkenswert starke Besetzung der vier
handlungstragenden Frauen mit Sidse Babett Kndusen, Amanda Collin,
Danica Curcic, Lene Maria Christensen. Eine männliche Nebenrolle
wird gespielt von Simon Sears, einem Star aus der Pastoren-TV-Serie
HERRENS VEJE / DIE WEGE DES HERRN (2017-18). Viele tiefschürfende
psychologische Erkenntnisse zum Thema Völkermord, sogar als lesbare
Schrifttafeln, werden eingeblendet und aufgesagt. Das sorgt für ehrerbietige Ehrfurcht. Dazu eine ungeheuer gepflegte Atmosphäre, im Einklang mit der Bedeutung suggerierenden Musik –
viel gedehntes Cello! Das kann auch den hartgesottensten Zuschauer einlullen. Und wenn man
nicht irgendwann innerlich stopp sagt, beginnt man noch, über die Zusammenhänge von Unzusammenhängendem, von Unsinn
nachzudenken. Denn wer nicht per se auf Anhäufung von
Prätentiösität allergisch reagiert, wer sich also vom großen, geschickt gedämpften
Kunst-Vorschlaghammer betäuben lässt, könnte sich verpflichtet
fühlen, dem Ganzen folgen, es verstehen zu wollen, vielleicht
noch nach dem Kino darüber nachzudenken. Nur unterschätzte Kardinaltugenden wie Schulterzucken und
Gleichgültigkeit bieten einen rettenden Ausweg.
Und wenn ich hier von
Unsinn schreibe, müsste das ja nicht grundsätzlich negativ gemeint sein. Denn
aus einer gesunden Distanz betrachtet, handelt es sich bei
UNDTAGELSEN um puren, reinen, echten Trash. Allerdings Trash, der
bloß keiner sein will. Übervoll, verworren, ididotisch, was
könnte das für ein irrer B-Film sein, so voll gestopft mit
Handlung, Handlungen und Themen. Und dann diese B-Film-artige Weisheit,
die einem dieser Film, der in einem Institut zur
Erforschung von Völkermord spielt, in unfreiwillig grandioser Dämlichkeit vermittelt: Hüte dich vor Frauen, die an solch einem Ort
arbeiten, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Die haben allesamt
nicht nur einen gut versteckten Dachschaden, die sind auch noch durchweg
gemeingefährlich.
Eine Mitarbeiterin war mal in afrikanischer
Geiselhaft und konnte sich befreien, erzählte allerdings die Lüge,
dass sie sich mit einem Kindersoldaten angefreundet hatte, der sie
frei ließ. In Wirklichkeit hat sie ihn erstochen, um dann
wegzulaufen. Jetzt ist sie total psychisch gestört und hat
ständige Visionen von dem toten schwarzen Jungen. Eine hat in jungen
Jahren schon Gicht, damit sie laut Drehbuch gesunde Menschen hassen,
ihr Freund ihr weglaufen und man ihre Tabletten vertauschen kann,
damit sie so richtig krank wird. Eine hat Depressionen, Entfremdungsgefühle, wird gemobbt und möchte der schlimmsten Kollegin
am liebsten mit einem Hocker den Kopf zu Brei schlagen, gespielt
übrigens von einer faszinierenden und selten so gesehenen grau
wirkenden Sidse Babett Knudsen. Und eine vierte Kollegin ist
einem serbischen Kriegsverbrecher hörig und hat von diesem sexuelle
Visionen. Die Arbeit in dem Institut macht sie quasi als Buße.
Mal ehrlich. Geht's noch bekloppter? Und ja, durch den Film spuken tatsächlich
gleich zwei psychopathische Geister. Nur eine krankhafte Berufsbetroffenheit kann das ernst
nehmen und es nicht saukomisch finden.
Wobei man bei einem
anderen Problem ankommt. Wie viel Ironie ist da nun doch in dem Film?
Sehe ich die Ironie, weil ich sie sehen will, oder ist das alles bis
ins Letzte total ernst gemeint und damit einfach grottenschlecht. Da
ist beispielsweise ein Einbruch in ein Haus, den eine der
intellektuellen Frauen in einer Kleidung wie aus einem
Nick-Knatterton-Cartoon durchführt. Fehlt nur noch das Schild auf dem Rücken
mit der Aufschrift „Einbrecher“. Und am Ende taucht eine Polizistin auf, die perfekt die
Theorie der Psychologie beherrscht und auch so verquast spricht, was
schrecklich bizarr und unpassend wirkt.
Oder der alte, angegraute,
linke, afrikaerfahrene schwedische Journalist, dem die Weiber nicht
widerstehen können, ja, für den sie morden könnten. Vielleicht,
weil er im Bett eine sexy Predigt hält, dass unsere Nachfahren wegen der Ausbeutung der Restwelt uns
mal so betrachten würden wie die Deutschen ihre Nazi-Großeltern. Nun ist
erstens das große Interesse der Enkel für ihre während der Nazi-Zeit
erwachsenen Großeltern in Deutschland kleiner gewesen, als man im
Nachhinein glauben machen möchte. Und zweitens kann sich der Glaube, die weiße westliche
Zivilisation sei an allem Elend der Welt Schuld, durchaus mit dem Größenwahn
der Imperialisten und Raubkolonialisten messen. Aber vielleicht ist
es ja gerade dieser moralistisch anklagende Größenwahn, der ihn so anziehend macht.
Der einzige kleine Teil
des Films, der eine Reihe von spannenden und auch intensiven Szenen
hervorbringt, ist ganz einfach der um eine Gruppe von Frauen, die ständig über
das Böse schreiben, aber selber im Privaten das Böse herauslassen,
vor allem durch den grausamen Umgang mit einer Mitarbeiterin, die mächtig
gemobbt wird, noch angeheizt durch anonyme Drohmails. Und das bei Menschen, die es doch besser wissen
sollten, weil sie alle Theorien kennen. In diesen Szenen geht es um
das Böse, das in jedem steckt, das keine Erziehung, keine Pädagogik, keine Psychologie
auslöschen kann. Denn es bleibt im Kern eine moralisch-religiöse
Frage. Aber dabei belässt es der Film ja nicht. Und zu allem Überfluss versucht der
Film am Ende mit einer Wendung zu einem de-Palma-artigen Thriller über Lüge und
Wirklichkeit aus der eigenen Verwurstung herauszukommen und scheitert peinlichst. Was bleibt, ist eine immer mehr ins Leblose abgleitende Filmkonstruktion, die viel zu sehr auf theoretischen Prämissen beruht.