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Dienstag, 14. Juli 2020

Gigis' BLOKHAVN – Hurra, hurra, die Schule schließt


Hurra, hurra, die Schule schließt! Was für eine schöne Nachricht im ersten Moment. Und wenn man Schüler ist und ein bisschen blöd, muss einem halt erst mal erklärt werden, dass man dann nicht von der Schulpflicht erlöst ist, sondern dass ganz einfach alle Schüler auf andere Schulen verteilt werden. Geistig entsprechend begeisterte ich mich sehr jung für das Lied ”Hurra, hurra, die Schule brennt” und musste mir erläutern lassen, dass nach einem Brand eben woanders unterrichtet wird, unter Umständen in Containern. Ich bin eben auch ein bisschen blöd. Aber plötzlich hofft man inständig, dass die Schule nicht brennt, dass sie nicht schließt.

So geht es auch den etwa 14-jährigen Schülern einer Ghetto-Volksschule in dem dänischen Anmationsfilm BLOKHAVN (2020), sozusagen Blockhagen, statt Kopenhagen. Die grottenschlechteste Schule der Welt kostet den Staat einfach zu viel, verkündet der Bildungsminister persönlich. Die Schüler sind begrenzt motivierte Kinder, vorwiegend Abkömmlinge von Einwanderern, die hier ein Dänisch sprechen, für das man vorher ein bisschen Sprachunterricht nehmen sollte. 21 Slang-Grundbegriffe werden in einem YouTube-Video der Macher erläutert, ich hätte es vorher gucken sollen. Die Hauptfiguren des Films jedenfalls, eine Gruppe von Freunden, beschließen, das Unmögliche möglich zu machen und ihre schlechteste Schule der Welt zu retten. Damit sie als Freunde zusammenbleiben können. Ihre Versuche gehen erst völlig in die Hose, dann sieht es kurz gut aus, aber am Schluss scheitert es doch an finanziellen Problemen des Staates. Aber jedenfalls haben sie mal den Arsch hoch bekommen und gemeinsam etwas äußerst Konstruktives hingekriegt.

BLOKHAVN ist ein sehr liebevoll in Handarbeit hergestellter Aninmationsfilm von 76 Minuten. Vorherrschend ist aber nicht Betongrau, sondern ein kräftig-schmutziges, manchmal apokalyptisch wirkendes Bunt. Es gibt eine Verbindung aus Authentizität, Radikalität, Übertreibung und Versöhnlichem. Vor allem die kleinen, einzelnen Szenen überzeugen, bleiben in Erinnerung. Die Hauptfiguren sind für das dänische Publikum allerdings nicht neu, denn es gibt sie schon in kleinen Videos, die in den letzten Jahren auf dem YouTube-Kanal der Macher von Gigis hochgeladen wurden.

Gigis ist ein fünfköpfiges, untereinander befreundetes Künstlerkollektiv, das drei Jahre an diesem ersten Langfilm gearbeitet hat. Gemeinsam schufen sie eine stilisiert-realistische, ernst-humorvolle und zart-brutale Wiedergabe der Welt, in der sie aufgewachsen sind. BLOKHAVN bietet den großen geglückten Spagat zwischen den realen Dealer-Versuchungen eines potentiellen Schulabbrechers und einem cartoonartigen besoffenen Rap-Duo, das das Traummädchen eines der Filmhelden von der Bühne aus vollkotzt. Es gibt also eine große Bandbreite des Gezeigten, der Stimmungen. Dabei sind die einzelnen Bilder sehr detailliert gezeichnet. Beim ersten Gucken entgeht einem sicher einiges.

BLOKHAVN hat eine Reihe von einprägsamen Nebenfiguren, wobei der Film interessanterweise ohne wirklichen Bösewicht auskommt, denn der Psycho des Films, der aus reinem Zerstörungswillen für so manche Katastrophe sorgt, ist eigentlich die größte arme Sau der Story. Sein Privatleben steht im Mittelpunkt der ungemütlichsten Szene des Films. Er hat Besuch vom Klassenfeigling, der einmal durch einen absolut verrotteten, furchteinflößenden Flur auf Klo gehen will, aber auf dem Pott sitzt schon eine geisterartige, ausgemergelte, leidend stöhnende Frau, mehr tot als lebendig. An der Wand steht: „Ich kann nicht mehr.“ Dieser Heulsusen-Däne wiederum hat keine Freunde und wird ständig gequält. In einer Szene wird er im Hintergrund an die Wand gedrückt und gewürgt, einfach so. Selbst über Mobbing darf man hier lachen. Angeschwärmte junge Damen sind natürlich auch auf der Schule. Genau so wie Lehrer: Einmal der blasse Lehrer, der heimlich zum Gras-Dealer und zur erotischen Thai-Massage geht. Die Unterrichtsszenen mit ihm sind ein wenig die moderne Steigerung meiner einst so geliebten Serie WELCOME BACK KOTTER (1975-1979). Und dann ist da die sympathische Lehrerin Gertrud, die die Jungen versteht, was für die das Wichtigste ist und auch für Bestätigung und Selbstwertgefühl sorgt. Und besonders in den Szenen, wo einer der Jungen verzweifelt versucht, Gertruds Leben zu retten, gelingen BLOKHAVN echte Emotionen.