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Donnerstag, 25. Juni 2020

Kasper Rune Larsens HOTEL PARADIS – Der Halbbruder-Bruder


Ein schönes Geschenk, das die dänische Filmzeitschrift EKKO einem da gemacht hat, als sie Kasper Rune Larsens kurze Webserie HOTEL PARADIS (2020) als Streaming auf ihre Netzseite stellte. Die Umstände sind allerdings nicht ganz so lustig. Denn diese mit öffentlicher dänischer Filmförderung gedrehte Serie will kein dänischer Fernsehsender kaufen. 2019 war Kasper Rune Larsen damit auf den Berliner Filmfestspielen auf der Suche nach internationalen Käufern. So ein Ärger ist vermutlich die Quittung, wenn man nicht den zur Zeit angesagten formatierten Storytelling-Kram, weswegen ich beispielsweise viel weniger Serien gucke als früher, kopiert, sondern sich auf sehr persönliche Weise von Interessanterem inspirieren lässt: von der britischen Sitcom FAWLTY TOWERS mit John Cleese, von David Lynchs TWIN PEAKS und mit seiner jütländischen Provinzthematik ist HOTEL PARADIS auch ein bisschen verwandt mit Bruno Dumonts Nordfrankreich-Serie P'TIT QUINQUIN (2014). Kann es wirklich sein, dass Fernsehbürokraten sich bei dem Ganzen nicht so gut unterhalten wie ich?

HOTEL PARADIS beginnt mit Asger, der ein junger, für kurze Zeit sehr erfolgreich gewesener Künstler aus Kopenhagen ist, der „am schnellsten verkaufende Künstler Dänemarks“. Der kommt mit seinen finanziellen und großen kreativen Problemen in die Provinz – „in the middle of fucking nowere“ – um der Verlesung des Testaments seines Vaters beizuwohnen, den er nie kennengelernt hat. Da trifft er zum ersten Mal auf seine beiden Brüder, den freundlichen fülligen Koch Jan und den neurotischen Portier Dan, die beide im väterlichen Hotel arbeiten, um das es in dem Testament vorwiegend geht. Nach und nach kommen noch einige eigenwillige Charaktere dazu. Stammgast Bodil ist eine Amateur-Künstlerin mit festem Wohnsitz in dem Hotel. Nachbarstochter Bob, ein echter Hillbilly und Waffennärrin, wie es sie in Europa mehr geben sollte. Schlüsselfigur dieser ersten Staffel ist der ständig besoffene Onkel, der aber als Einziger sagen kann wo das Testament ist, wenn man ihn denn in häuslicher Pflege mal aus dem tiefen Alkohol-Koma bekäme: „Wir gehen doch nicht zum Arzt, wir sind nicht in Kopenhagen.“ 

Larsen denunziert seine Figuren aber nie. Echte böse Satire gibt es nur bei einer Abordnung aus Kopenhagen, als Vertreter der „Kunstauswahl“ in dem Hotel auftauchen und, wie im Leben, sich über alles Provinzielle lustig machen. Das wirkt witzig, ist aber sehr real. Als ihnen von Bob mit Pistole fast der Kopf weggeblasen wird, glauben sie hinterher an eine gelungene Kunstperformance, die sie gleich mit angelernten Floskeln theoretisieren. Was auch immer hier gezeigt ist, die Serie ist auf der Seite der Leute aus Jütland, übrigens auch die Heimat des Regisseurs, der geboren wurde in Vejle.

HOTEL PARADIS ist im Ganzen eine schöne Mischung aus ernst und heiter. Viel Humor entsteht ganz einfach durch die Dialoge, aber nicht nur durch pointierten Inhalt, sondern durch die Art, wie miteinander geredet wird. Da sind Menschen, die sich manchmal um Kopf und Kragen reden, wenn sie denn reden. Und dann wieder herrschen Pausen vor, dann wieder Sprachlosigkeit, Ausflüchte ins Umhergucken, linkische Bewegungen. Und oft besteht Kommunikation bloß aus Befehlen und Monologen. „Du redest nicht mit mir, du redest zu mir.“, beschwert sich Jan bei Dan. Und dann die unnachahmliche Art, wie Dan es aus sich herauspressen muss, dass Asger sein Bruder ist, wie er auf dem Wort Halbbruder besteht, um Distanz zwischen sich und ihn zu legen, und wie Jan auf „Bruder“ besteht, sodass über Dans zusammengepresste Lippen das Wort „Halbbruder-Bruder“ kommt.

Larsen ist immer dicht dran an den Figuren, manchmal schmerzhaft lange. Und trotz der seltsamen Charaktere bedient Larsen nicht die Freunde der nordischen Skurrilität. Denn hier geht es eher seltsam als skurril zu. Unnormales Verhalten ist nicht zum Amüsieren und Lachen, es verschiebt eher den Maßstab der Normalität, um am Ende vielleicht ganz woanders zu landen. Wenn etwa Dan am Bett des besoffenen Onkels sitzt, sich erleichtert die Schuhe und Strümpfe auszieht und sich den linken Fuß einsalbt und dann mit der rechten einen Fransk Hotdog isst, also Würstchen in Weichbrötchen mit Remoulade, dann ist das nicht witzig, sondern perfekter realer Surrealismus. Oder wenn Bob mit ihrer Spielkameradin brutales American Football spielt. Und auch wenn es gerade nicht danach aussieht, wäre es trotz allem schön, falls es mal eine Fortsetzung geben könnte, denn gerade am Schluss deutet sich durch Träume und Dämonisches einiges an. Und irgenwie mag man nicht aufören, diesen Figuren zuzugucken, was auch ein großes Kompliment an die Schauspieler ist, also Jonas Lindegaard Jacobsen als Asger, Bodil Jørgensen als Bodil, Jesper Ole Feit Andersen als Dan, Alexander Leo Christiansen als Jan und Frederikke Dahl Hansen als Bob.