Eine
Familiengeschichte mit Elementen des Gangsterfilms, des Mafiafilms
und seinen ungeschriebenen Gesetzen der Loyalität und Omertà, erzählt
Jeanette Nordahls Spielfilmdebüt KØD &
BLOD, dessen internationaler Titel WILDLAND lautet, aber FLESH
& BLOOD (1985) ist ja bekanntlich besetzt mit Paul Verhoevens
blutigem Mittelalter-Spektakel. In dem dänischen Film geht es nach
Nordfünen, in die Provinz, zumindest wurden Teile des Films dort
aufgenommen. Im Prinzip wird alles aus Sicht des jungen Mädchens
Ida, gespielt von Sandra Guldberg Kampp, erzählt, das nach dem Tod
der Mutter in einem Autounfall bei der Tante mit ihren drei Söhnen
unterkommt, die unter anderem Geld verleihen und eintreiben. Ida ist
die beobachtende Hauptfigur,
spiegelt das Geschehen wieder, ist halb
aktiv teilnehmend,
halb passiv
beobachtend beteiligt. Sie
will ganz
offensichtlich dazugehören,
aber dann wird ein kleines Mädchen benutzt, um den Vater zu
bedrohen, und es wird
in einem Handgemenge jemand erschossen.
Regisseurin
Jeanette Nordahl hat in den Jahren zuvor
zwei Kurzfilme gedreht. Einmal den englischsprachigen WAITING FOR
PHIL (2012), der von einem Bestatter handelt, dessen Frau
stirbt und die er selbst einbalsamieren will,
während die Tochter vergeblich auf klassische, gesellschaftlich
codierte, verständliche Zeichen der Trauer wartet und den Vater in
ihrer Hilflosigkeit beschimpft. Und mit der Drehbuchautorin von KØD &
BLOD, Ingeborg Topsøe, arbeitete Nordahl
schon bei ihrem Kurzfilm
NYLON (2015) zusammen. Mit Eltern angereist aus Dänemark zur
Geburtstagsfeier des schwedischen Großvaters in dessen
Ferienhaus, trifft ein Jugendlicher auf die
junge hübsche krebskranke Tante, die ihn in einer
Mischung aus Sexualität und Tod fasziniert. Die konsequente
Perspektive ist die des Jungen. Wenn er
einmal in das Schlafzimmer der Tante schleicht, interessiert er sich nicht für
ihre Unterwäsche, sondern für die Medikamentenbatterie auf der
Kommode. Am Ende kommt es zu einer Art
Missbrauch besonderer Art: Sie macht ihn zum unwissenden Komplizen
ihres vermutlichen Selbstmordes. Eines haben alle drei Filme
gemeinsam: Es geht um die familiäre Erwartungshaltung in Bezug auf
bestimmtes Verhalten. Sei es, bestimmte Gefühle zu zeigen, sei es,
sich diszipliniert zu benehmen, selbst bei persönlichen Problemen,
sei es nach außen hin über auch illegale Interna zu schweigen.
Nordahl hat offensichtlich ein Interesse für das, was unter der
Oberfläche existiert in scheinbar durchstrukturierten familiären
Verbindungen, wofür sie sich Grenzsituationen wählt.
Weiterentwickelt
haben Nordahl und Topsøe im Vergleich zu
NYLON das Prinzip der ökonomischen
Erzählweise und der Leerstellen, was zunächst einmal auf der rein
formalen Ebene die größte Qualität des Films ist. Gleich am Anfang
lässt sich das gut sehen, wenn die Vorgeschichte und die
Unterbringung des Mädchens bei der Familie der Tante in wenigen
Bildern und Sätzen erzählt werden. Man sieht nur das Unfallauto auf
dem Dach liegen. Man hört den Sozialarbeiter vom Jugendamt. Da man
nicht alles breit vorgesetzt bekommt, entsteht mehr noch als in NYLON
eine Atmosphäre der Unsicherheit. Oft wird nicht das ganze Geschehen
gezeigt, sondern nur Idas Blick darauf, wobei sie sich selten etwas
anmerken lässt und schon gar nichts sagt. Genau genommen ist der
Film eine Rückblende, denn aus dem Off leitet Ida alles ein und
deutet Tragik an durch die Weisheit, dass es für manche schon vorbei
ist, bevor es richtig angefangen hat. Das aber ist eine
Drehbuchweisheit, nicht die eines jungen Mädchens. Hätte man
weglassen können. Vielleicht sogar besser sollen.
Alles kreist
um die von Sidse Babett Knudsen dargestellte Mama. Sie verkörpert
Mütterlichkeit, ist die umarmende, erdrückende, im Zweifelsfall
ebenso hysterische wie kalte Übermutter, deren Söhne zwar Gauner,
aber im Grunde sehr weich sind. Wenn der eine bei ihr auf dem Schoß
liegt und sich den Kopf kraulen lässt, ist das weniger inzestuös,
als ein Hinweis auf das geistige Alter des Sohnes. Aber dann sitzt
sie nachts wie eine ganz normale überbesorgte Mutter da und kann
erst schlafen, wenn die ganze Herde wieder im Haus ist. Sie ist eine
Provinz-Version der kleinen Reihe von filmischen Gangstermamas mit
seltsamen und teilweise mehr oder weniger leicht gestörten Jungs. Da
kann man sogar an Ma Dalton aus Lucky Luke denken. Oder an Ma Barker,
verewigt von Roger Corman als BLOODY MAMA (1970). Oder etwa an die
Mutter des psychopathischen Kriminellen in Raoul Walshs WHITE HEAT /
MASCHINENPISTOLEN (1949).
Nach außen
ist die Familie Clubbesitzer. Aber die Haupteinnahmequelle ist wohl
der Geldverleih. Tagsüber wird eingetrieben. Abends wird bis zum
Umkippen Dampf abgelassen im Club. Sie wohnen isoliert in einer ganz
bürgerlichen Gegend. Vom Nachbarn kommen aber eher misstrauische
Blicke. Gemeinsames Feiern im berühmten dänischen Versammlungshaus
wird es hier wohl nicht geben. Die Söhne symbolisieren nach außen
hin echte Männlichkeit. Muskeln, Kraftsport, blutigste Shooter-Spiele, Feiern, Trinken. Aber
es gibt Risse in der Fassade, Konflikte lodern ständig auf. Der
Älteste, der immer fährt, befiehlt, aber nie selbst Gewalt
anwendet. Dass mit dem Jüngsten etwas nicht stimmt, wird ziemlich
deutlich, als er Ida fragt, ob er ihre Brüste sehen darf, dann würde
er ihr auch sein Dings-da zeigen. Der Mittlere, David, hat ein
Drogenproblem und möchte sich offensichtlich befreien von dem
Irrenhaus, wozu er aber zu schwach ist. Als er nach längerer
Abwesenheit wieder auftaucht, setzt es, unter dem Deckmantel der Brüderlichkeit, einen Haufen Ohrfeigen im Auto. Im Laufe des Films blättert der letzte Putz von
der Fassade, und man sieht nur noch in einem grauen Horrorleben
gefangene Menschen, aus dem man sich zu Lebzeiten nicht befreien kann. Die Atmosphäre der Unsicherheit verwandelt sich
in eine der Bedrohung. Und durch die allerletzte Szene, eine Art
Epilog, kann man die 90 Minuten davor übrigens auch als versteckten
Horrorfilm betrachten.