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Sonntag, 24. Mai 2020

MINA UND DIE TRAUMZAUBERER – Die Welt hinter dem Traum



MINA UND DIE TRAUMZAUBERER (2020) ist ein dänischer computeranimierter Familienfilm über Traum und Wirklichkeit und den gegenseitigen Einfluss zwischen beidem. Gefährlich wird es in diesem auch für Erwachsene unterhaltsamen und amüsanten Kinderfilm, wenn die Grenzen zerfließen. Die Animation ist ansprechend bunt, übersichtlich, aber hat an den richtigen Stellen einen spannenden Sinn fürs das Kleine, fürs Detail.

Grundlage ist eine einfache Story um eine Patchwork-Familie, die sich zusammenraufen muss, aber es zunächst nicht schafft. Vater mit Tochter, Hauptfigur Mina, ziehen zusammen mit Mutter und Tochter, Zwangs-Schwester Jenny. Jenny ist auf den ersten Blick ein typisches überkandideltes Smartphone-Instagram-Mädchen, das auf Follower scharf ist und auf der Bühne von der Masse bejubelt werden möchte. Sehr schnell hassen die beiden sich, und als Mina mitbekommt, dass Jenny über sie und ihren schön-hässlichen Pullover öffentlich im Netz spottet, geht sie zum Gegenangriff über. Da Mina unzufrieden ist mit der Wirklichkeit, will sie ein neu entdecktes Instrument nutzen, um diese zu ändern.

Eine erste Traum-Sequenz gleich am Anfang ließ schon ahnen, dass das kein einfacher Familienfilm wird. Man ist in einem Traum Minnas, der eine Ahnung dessen ist, was kommen wird. Eine geordnete, harmonische Welt gerät in Unordnung, in Auflösung. Mina spielt auf einer Art Schachbrettwolke mit ihrem Vater Schach, als plötzlich alles in einem Unwetter auseinanderbricht und der Vater davonfliegt. Eine surreale Traumwelt, die die Unsicherheit des Lebens widerspiegelt. Bei einer zweiten Traumsequenz bleibt der Traum aber plötzlich stehen, und sie sie kann die Wand zur dahinter liegenden Welt durchbrechen, wo die Träume nicht erdacht, aber gemacht werden. Die surreale Welt bekommt auf einmal eine ganz mechanische Logik als schöpferische Grundlage.

Der deutsche Titel TRAUMZAUBERER ist leider wieder einmal daneben, denn der Witz an diesem Film ist doch, dass es hier nicht um Zauberei geht, sondern tatsächlich um das Erbauen, was der dänische Originaltitel DRØMMEBYGGERE ausdrücklich zu verstehen gibt. Um das Erbauen von Kulissen, von Dekors, um das Verkleiden von Schauspielern. All das lässt den Träumer sein Erlebnis real empfinden wie eine Filmfigur die Filmwelt. Denn im Grunde ist es eine große Traumfabrik. MINA ist auch ein Film über das Filmemachen, eine für Kinder verständliche Variation über das Thema Film als Traum. Und sowohl im Film als auch hier beim Träumemachen wiederholt sich ja das, was an sich im Großen stattfindet. Nach Paramahansa Yogananda ist „das ganze Universum Gottes kosmischer Film“.

Dieses riesige, sich in der Dunkelheit unendlich fortsetzende Studiouniversum ist das sehr einfallsreiche, aber nicht übervolle visuelle Schatzkästchen des Films. An langen Seilen hängen die Bühnen, die Drehorte in der Luft. Verbunden sind sie durch achterbahnartige Wagen und Schienen. Und alles ist analog, mechanisch-elektrisch, da werden noch klassische Hebel umgelegt. Die Bühnenarbeiter sind niedliche kleine Helferlein. Der Regisseur trägt in einer Art Mischung aus Feuerwehrmann und Astronaut seltsame mechanische Gerätschaft an sich. Einen Studioboss gibt es auch. Der mag es gar nicht, wenn das Drehbuch geändert wird, was aber auch wirklich katastrophale Folgen haben kann. Allerdings erfährt man nicht, wo, wie und warum die Drehbücher verfasst werden. Aber genau da setzt Mina ein. Sie verändert die Drehbücher für Jennys Träume, um deren Persönlichkeit zu ändern. Allerdings neigt das Opfer plötzlich zu abrupten Stimmungsumschwüngen. Aber es kommt noch schlimmer.

Regisseur Kim Hagen Jensen, die letzten 14 Jahre als Storyboard-Künstler tätig, legt mit MINA UND DIE TRAUMZAUBERER, nach einem Drehbuch von Søren Grinderslev Hansen, seinen ersten Langfilm vor. Vorher schuf er den Kurzfilm WILL-BOT IN ”FRIEND OR FOE?” (2013), eine WALL-E-Variation, dem beliebten Pixar-Roboter, der die verwüstete Erde aufräumt. Hier ist es ein misstrauischer Wachroboter, der mit einem auf den ersten Blick äußerst unheimlich wirkenden Riesenroboter am Ende freundschaftlich Metalldonuts knabbert. Was auffällt, ist die Vorliebe für weite, einsame Räume, hier das Sternenuniversum, dort die große dunkle Weite der Hintertraumwelt. Auch in MINA verarbeitet Jensen fremde populäre Einflüsse, aber auf eine originelle und persönliche Weise. Dass MINA mit seiner Thematik wie ein INCEPTION für Kinder wirkt, die Erkenntnis kann man auch in anderen Kritiken finden. Aber man spürt auch den Einfluss des großartigen Mexiko-Animationsfilms COCO (2017), wo ein Junge das Reich des Todes auf der Suche nach seinem Vater durchstreift, aber sich aufzulösen droht, als er zu lange dort bleibt. Die Mariachi-Musik in MINA scheint mir also kein Zufall zu sein.