MINA UND DIE
TRAUMZAUBERER (2020) ist ein dänischer computeranimierter
Familienfilm über Traum und Wirklichkeit und den gegenseitigen
Einfluss zwischen beidem. Gefährlich wird es in
diesem auch für Erwachsene unterhaltsamen und amüsanten Kinderfilm,
wenn die Grenzen zerfließen. Die Animation ist ansprechend
bunt, übersichtlich, aber hat an den richtigen Stellen einen
spannenden Sinn fürs das Kleine, fürs Detail.
Grundlage
ist eine einfache Story um eine Patchwork-Familie, die
sich zusammenraufen muss, aber es zunächst
nicht schafft. Vater mit Tochter, Hauptfigur Mina, ziehen
zusammen mit Mutter und Tochter, Zwangs-Schwester Jenny. Jenny ist auf
den ersten Blick ein typisches überkandideltes
Smartphone-Instagram-Mädchen, das auf Follower scharf ist und auf
der Bühne von der Masse bejubelt werden möchte. Sehr schnell hassen
die beiden sich, und als Mina mitbekommt, dass Jenny über sie und
ihren schön-hässlichen Pullover öffentlich im Netz spottet, geht sie zum Gegenangriff
über. Da Mina unzufrieden ist mit der Wirklichkeit, will sie ein neu
entdecktes Instrument nutzen, um diese zu ändern.
Eine erste Traum-Sequenz
gleich am Anfang ließ
schon ahnen, dass das kein einfacher Familienfilm wird. Man ist in
einem Traum Minnas, der eine Ahnung dessen ist, was kommen wird. Eine
geordnete, harmonische Welt gerät in Unordnung, in Auflösung. Mina
spielt auf einer Art Schachbrettwolke mit ihrem Vater Schach, als
plötzlich alles in einem Unwetter auseinanderbricht und der Vater
davonfliegt. Eine surreale Traumwelt, die die Unsicherheit des Lebens
widerspiegelt. Bei einer zweiten Traumsequenz bleibt der Traum aber
plötzlich stehen, und sie sie kann die Wand zur dahinter liegenden
Welt durchbrechen, wo die Träume nicht erdacht, aber gemacht werden.
Die surreale Welt bekommt auf einmal eine ganz mechanische Logik als
schöpferische Grundlage.
Der deutsche Titel
TRAUMZAUBERER ist leider wieder einmal daneben, denn der Witz an
diesem Film ist doch, dass es hier nicht um Zauberei geht, sondern
tatsächlich um das Erbauen, was der dänische Originaltitel
DRØMMEBYGGERE ausdrücklich zu verstehen gibt. Um das Erbauen von
Kulissen, von Dekors, um das Verkleiden von Schauspielern. All das
lässt den Träumer sein Erlebnis real empfinden wie eine Filmfigur
die Filmwelt. Denn im Grunde ist es eine große Traumfabrik. MINA ist
auch ein Film über das Filmemachen, eine für Kinder verständliche
Variation über das Thema Film als Traum. Und sowohl im Film als auch
hier beim Träumemachen wiederholt sich ja das, was an sich im Großen
stattfindet. Nach Paramahansa Yogananda ist „das ganze Universum
Gottes kosmischer Film“.
Dieses riesige, sich in
der Dunkelheit unendlich fortsetzende Studiouniversum ist das sehr
einfallsreiche, aber nicht übervolle visuelle Schatzkästchen des
Films. An langen Seilen hängen die Bühnen, die Drehorte in der
Luft. Verbunden sind sie durch achterbahnartige Wagen und Schienen.
Und alles ist analog, mechanisch-elektrisch, da werden noch
klassische Hebel umgelegt. Die Bühnenarbeiter sind niedliche kleine
Helferlein. Der Regisseur trägt in einer Art Mischung aus
Feuerwehrmann und Astronaut seltsame mechanische Gerätschaft an
sich. Einen Studioboss gibt es auch. Der mag es gar nicht, wenn das
Drehbuch geändert wird, was aber auch wirklich katastrophale Folgen
haben kann. Allerdings erfährt man nicht, wo, wie und warum die
Drehbücher verfasst werden. Aber genau da setzt Mina ein. Sie
verändert die Drehbücher für Jennys Träume, um deren
Persönlichkeit zu ändern. Allerdings neigt das Opfer plötzlich zu
abrupten Stimmungsumschwüngen. Aber es kommt noch schlimmer.
Regisseur
Kim Hagen Jensen, die letzten 14 Jahre als
Storyboard-Künstler tätig, legt mit MINA UND DIE TRAUMZAUBERER, nach
einem Drehbuch von Søren Grinderslev Hansen, seinen
ersten Langfilm vor. Vorher schuf er den
Kurzfilm WILL-BOT IN ”FRIEND OR FOE?” (2013), eine
WALL-E-Variation, dem beliebten Pixar-Roboter, der die verwüstete
Erde aufräumt. Hier ist es ein
misstrauischer Wachroboter, der mit einem auf den ersten Blick äußerst
unheimlich wirkenden Riesenroboter am Ende freundschaftlich Metalldonuts knabbert. Was
auffällt, ist die Vorliebe für weite, einsame Räume, hier das
Sternenuniversum, dort
die große dunkle Weite der Hintertraumwelt. Auch in MINA
verarbeitet Jensen fremde populäre Einflüsse,
aber auf eine originelle und persönliche Weise. Dass MINA mit seiner Thematik wie
ein INCEPTION für Kinder wirkt, die Erkenntnis kann man auch in
anderen Kritiken finden. Aber man spürt auch den Einfluss des
großartigen Mexiko-Animationsfilms COCO (2017), wo ein Junge das
Reich des Todes auf der Suche nach seinem Vater durchstreift, aber sich aufzulösen droht, als er zu
lange dort bleibt. Die Mariachi-Musik in MINA scheint mir also kein
Zufall zu sein.