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Dienstag, 19. Mai 2020

Alice O'Fredericks' DET GÆLDER OS ALLE – Familienfilm mit Kriegskind


Der dänische Film DET GÆLDER OS ALLE (1949, dt.: Das betrifft uns alle) beginnt ganz authentisch, fast halbdokumentarisch. Im zerstörten Wien kümmern sich Mitarbeiter des Dänischen Roten Kreuzes um Kriegskinder. Eines der Kinder, ein Mädchen, bricht zusammen und eine Krankenschwester sorgt und kümmert sich ganz besonders um sie, denn sie kennt sie aus dem KZ, erzählt dem von Poul Reichhardt gespielten Arzt, wie die Kleine ihr einmal unter großer Gefahr das Leben gerettet hat, was in einer Rückblende gezeigt wird. Der Arzt sorgt für eine Pflegekind-Unterbringung bei seinem Onkel und seiner Tante in Dänemark, wo es den Menschen gut geht. Leidende Kinder, Krieg, Konzentrationslager, böse nationalsozialistische KZ-Weiber. Das hört sich zunächst nach grauem, düsterem Realismus der End-1940er an, der hier dennoch allenfalls eine weit entfernte Inspiration für den Ausgangspunkt des Films, für die Wahl des Themas gewesen ist.

Denn die Regisseurin ist Alice O'Fredericks, die Meisterin des populären Films, die in den 50ern mit ihren Familienfilmen zum erfolgreichsten Regisseur Dänemarks überhaupt aufstieg. Besonders die Reihen um FAR TIL FIRE, über einen alleinerziehenden Mittelklassevater von vier Kindern, und die Heimatfilme nach dem populären Autor Morten Korch waren immense Kassenschlager. Begonnen hatte sie ihre Regiekarriere in den 30ern, nachdem sie Assistentin von Lau Lauritzen sr. gewesen war, dessen Fy & Bi-Filme, Pat und Patachon, weltbekannt sind. Gemeinsam mit dessen Sohn Lau Lauritzen jr. amerikanisierte sie die dänische Komödie mit neuen Themen und mit Tempo.

An DET GÆLDER OS ALLE kann man sehen, dass sie aber durchaus einen Blick für und einen künstlerischen Hang zur sozialen Wirklichkeit hatte. Bei allen kritischen Maßstäben, die man an den Film anlegen kann, merkt man, dass das Thema ihr ernsthaft am Herzen lag. Aber sie wollte keinen Filmpreis gewinnen, sondern damit wirklich das dänische Volk erreichen. Also wurde daraus ein im Endeffekt typisch dänischer Familienfilm mit typischen Zutaten. Poul Reichhardt und Lisbeth Movin sind das Liebespaar. Ib Schønberg zieht als Vater seine Show ab in einer Rolle, die ihn nicht viel Mühe kostet. Und alles ist durch und durch vorhersehbar, denn es ist ein funktionaler Film, der sich sogar nebenbei einsetzt auch für die Unterbringung von deutschen Pflegekindern, wogegen es in der Bevölkerung, aber auch in den verantwortlichen Institutionen Widerstand gab.

Red Barnet (Rettet das Kind) hieß die wichtige Institution, die sich um ausländische Pflegekinder kümmerte und die eng mit dem Roten Kreuz zusammenarbeitete. Eigentlich eine schwedische Organisation, bekam sie 1945 auch eine dänische Abteilung, wo man sogleich mit der Hilfe begann, mit französischen und holländischen unterernährten Kindern. Aber es wurde eben auch heftig diskutiert, ob man deutschen Kindern helfen sollte. Und obgleich bei Kindern theoretisch keine Unterschiede gemacht werden sollten, war man zunächst der Ansicht, dass man mit den deutschen Flüchtlingen, die man am 4. Mai von der Besatzungsmacht übernehmen musste, genug für Deutschland unternahm. Solch eine Aussage tat die Vorsitzende Valborg Hammerich 1946, gab dann aber wenig versteckt ihre unideologische Position zu erkennen, indem sie von dringender Hilfe nicht nur für polnische, sondern auch für ungarische und österreichische Kinder sprach. Ungarn war eine Achsenmacht und Österreich war sieben Jahre gleichbedeutend mit Deutschland gewesen.

Im Entstehungsjahr des Films war die antideutsche Haltung langsam am Nachlassen. Südschleswigsche Kinder kamen nach Dänemark. 1950 empfing Red Barnet noch einmal 500 deutsche Kinder. Aber eigentlich ist DET GÆLDER OS ALLE kein wirkliches Portrait eines Flüchtlingskinds, anders als Leopold Lindtbergs schöner Film MARIE-LOUISE (1944) über die Zeit der Schweizer Hilfe für Flüchtlingskinder während des Krieges, die dann ausgesetzt wurde. O'Fredericks Film ist, wie der Titel es andeutet, eher ein Appell und eine Ermahnung an die Landsleute. Viele ihrer puren Unterhaltungswerke sind zwar rein filmisch besser, aber dieser Film hat konkrete, tagespolitische Bedeutung.

Und so wird den dänischen Zuschauern eine verbreitete Selbstgenügsamkeit, Selbstzufriedenheit vorgeführt, die sich nicht um das Elend im Rest der Welt kümmern will. Auch das österreichische Mädchen wird natürlich als Deutsche wahrgenommen und stößt auf teils hasserfüllte Ablehnung. Und man sieht, wie viel Mühe sich der Film macht, sie auch für den Zuschauer sympathisch zu machen. Dazu bedarf es, sozusagen, einer doppelten Konzentrationslagerglaubwürdigkeit: nicht nur sie selbst war im KZ, hat wie erwähnt einer Dänin geholfen; der Vater war als Regimegegegner auch im KZ und sein bahnbrechendes Weg gegen die nationalsozialistische Ideologie steht in der dänischen Übersetzung im Bücherregal einer Nachbarstochter. Eine ganze Menge, was Autor Svend Rindom hier auffahren musste, um das Mädchen mit Sicherheit akzeptabel zu gestalten. Gleichzeitig werden mögliche psychische Schäden der KZ-Zeit vernachlässigt, denn im Kern ist sie der reinste Sonnenschein, der die Familie bereichert. Sie hält den Dänen den beschämenden Spiegel vor, indem sie ihnen klarmacht, wie gut es ihnen tatsächlich geht.

Selbstverständlich braucht ein solcher Film eine Art Happy End, und wenn es auch im vom Krieg zerstörten Polen ist, wohin der von Reichhardt gespielte Rot-Kreuz-Arzt beordert wird. Also wird Lisbeth Movin, ursprünglich heftige Gegnerin des internationalen Engagements ihres Arzt-Verlobten, Schwester des Dänischen Roten Kreuzes und folgt ihm nach Polen. Wenn der Arzt nicht bei der Verlobten bleibt, muss die Verlobte eben zum Arzt kommen.