Der dänische
Film DET GÆLDER OS ALLE (1949,
dt.: Das betrifft uns alle) beginnt ganz authentisch, fast
halbdokumentarisch. Im zerstörten Wien kümmern sich
Mitarbeiter des Dänischen Roten Kreuzes um Kriegskinder.
Eines der Kinder, ein Mädchen, bricht zusammen und eine
Krankenschwester sorgt und kümmert sich ganz besonders um sie, denn sie kennt
sie aus dem KZ, erzählt dem von Poul Reichhardt gespielten Arzt, wie
die Kleine ihr einmal unter großer Gefahr das Leben gerettet hat,
was in einer Rückblende gezeigt wird. Der Arzt sorgt für eine
Pflegekind-Unterbringung bei seinem Onkel und seiner Tante in
Dänemark, wo es den Menschen gut geht. Leidende Kinder, Krieg,
Konzentrationslager, böse nationalsozialistische KZ-Weiber. Das
hört sich zunächst nach grauem, düsterem Realismus der
End-1940er an, der hier dennoch allenfalls eine
weit entfernte Inspiration für den Ausgangspunkt des Films, für die
Wahl des Themas gewesen ist.
Denn die
Regisseurin ist Alice O'Fredericks, die
Meisterin des populären Films, die in den 50ern mit ihren
Familienfilmen zum erfolgreichsten Regisseur Dänemarks überhaupt
aufstieg. Besonders die Reihen um FAR TIL FIRE, über einen
alleinerziehenden Mittelklassevater von vier Kindern, und die
Heimatfilme nach dem populären Autor Morten Korch waren immense
Kassenschlager. Begonnen hatte sie ihre Regiekarriere in den 30ern,
nachdem sie Assistentin von Lau Lauritzen sr. gewesen war, dessen Fy
& Bi-Filme, Pat und Patachon, weltbekannt sind. Gemeinsam mit
dessen Sohn Lau Lauritzen jr. amerikanisierte sie die dänische
Komödie mit neuen Themen und mit Tempo.
An DET
GÆLDER OS ALLE kann man sehen, dass sie aber
durchaus einen Blick für und einen künstlerischen
Hang zur sozialen Wirklichkeit hatte. Bei
allen kritischen Maßstäben, die man an
den Film anlegen kann, merkt man, dass das Thema ihr ernsthaft am
Herzen lag. Aber sie wollte keinen Filmpreis
gewinnen, sondern damit wirklich das dänische Volk erreichen. Also
wurde daraus ein im Endeffekt typisch
dänischer Familienfilm mit typischen Zutaten. Poul Reichhardt und
Lisbeth Movin sind das Liebespaar. Ib Schønberg zieht als Vater
seine Show ab in einer Rolle, die ihn nicht viel Mühe kostet. Und
alles ist durch und durch vorhersehbar, denn
es ist ein funktionaler Film, der sich sogar nebenbei einsetzt auch
für die Unterbringung von deutschen Pflegekindern, wogegen es in der
Bevölkerung, aber auch in den verantwortlichen Institutionen
Widerstand gab.
Red Barnet
(Rettet das Kind) hieß die wichtige Institution, die sich um ausländische Pflegekinder kümmerte und
die eng mit dem Roten Kreuz zusammenarbeitete. Eigentlich eine
schwedische Organisation, bekam sie 1945 auch eine dänische
Abteilung, wo man sogleich mit der Hilfe begann, mit französischen
und holländischen unterernährten Kindern. Aber es wurde eben auch heftig
diskutiert, ob man deutschen Kindern helfen sollte. Und obgleich bei
Kindern theoretisch keine Unterschiede gemacht werden sollten, war
man zunächst der Ansicht, dass man mit den deutschen Flüchtlingen,
die man am 4. Mai von der Besatzungsmacht übernehmen musste, genug
für Deutschland unternahm. Solch eine Aussage tat die Vorsitzende Valborg
Hammerich 1946, gab dann aber wenig versteckt ihre unideologische
Position zu erkennen, indem sie von dringender Hilfe nicht nur für
polnische, sondern auch für ungarische und österreichische Kinder
sprach. Ungarn war eine Achsenmacht und Österreich war sieben Jahre
gleichbedeutend mit Deutschland gewesen.
Im
Entstehungsjahr des Films war die antideutsche Haltung langsam am
Nachlassen. Südschleswigsche Kinder kamen nach Dänemark. 1950
empfing Red Barnet noch einmal 500 deutsche Kinder. Aber eigentlich
ist DET GÆLDER OS ALLE kein wirkliches
Portrait eines Flüchtlingskinds, anders als Leopold
Lindtbergs schöner Film MARIE-LOUISE (1944) über die Zeit der
Schweizer Hilfe für Flüchtlingskinder während des Krieges, die
dann ausgesetzt wurde. O'Fredericks Film
ist, wie der Titel es andeutet, eher ein Appell und eine Ermahnung
an die Landsleute. Viele ihrer puren Unterhaltungswerke sind zwar rein
filmisch besser, aber dieser Film hat konkrete, tagespolitische
Bedeutung.
Und so wird
den dänischen Zuschauern eine verbreitete Selbstgenügsamkeit,
Selbstzufriedenheit vorgeführt, die sich nicht um das Elend im Rest
der Welt kümmern will. Auch das österreichische Mädchen wird
natürlich als Deutsche wahrgenommen und stößt auf teils hasserfüllte Ablehnung. Und
man sieht, wie viel Mühe sich der Film macht, sie auch für den
Zuschauer sympathisch zu machen. Dazu bedarf es, sozusagen, einer
doppelten Konzentrationslagerglaubwürdigkeit: nicht nur sie selbst
war im KZ, hat wie erwähnt einer Dänin geholfen; der Vater war als
Regimegegegner auch im KZ und sein bahnbrechendes Weg gegen die
nationalsozialistische Ideologie steht in der dänischen Übersetzung
im Bücherregal einer Nachbarstochter. Eine ganze Menge, was Autor
Svend Rindom hier auffahren musste, um das Mädchen mit Sicherheit
akzeptabel zu gestalten. Gleichzeitig werden mögliche psychische
Schäden der KZ-Zeit vernachlässigt, denn im Kern ist sie der
reinste Sonnenschein, der die Familie bereichert. Sie hält den Dänen
den beschämenden Spiegel vor, indem sie ihnen klarmacht, wie gut es
ihnen tatsächlich geht.
Selbstverständlich
braucht ein solcher Film eine Art Happy End, und wenn es auch im vom
Krieg zerstörten Polen ist, wohin der von Reichhardt gespielte
Rot-Kreuz-Arzt beordert wird. Also wird Lisbeth Movin, ursprünglich
heftige Gegnerin des internationalen Engagements ihres
Arzt-Verlobten, Schwester des Dänischen Roten Kreuzes und folgt ihm
nach Polen. Wenn der Arzt nicht bei der Verlobten bleibt, muss die
Verlobte eben zum Arzt kommen.