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Donnerstag, 14. Januar 2021

EINE SPRACHE RETTEN – Der letzte Sprecher

 

© F-Seitse (Quelle: Nordische Filmtage Lübeck)

Wo im Sinne einer denkfeindlichen Statik die Rede ist von DIE Wissenschaft. Wo Geisteswissenschaftler mit den ideologisierten Studies erfolgreich genau das herausfinden, was sie vorher schon wussten. Und wo man ganz besonders in Deutschland dabei ist, die Sprache zu verhunzen, als sei sie bloß ein zu stammelndes bürokratisches Umerziehungs- und Folterinstrument. Da, ja gerade in solch düsteren Zeiten, da freut man sich über diese estnische Dokumentation EINE SPRACHE RETTEN / KEELEPÄÄSTJA (2020) von Liivo Niglas, die auf den Nordischen Filmtagen Lübeck 2020 zu sehen war. Sie zeigt, dass es sie doch noch gibt: intelligente Abhandlungen, kreative Ideen, sinnvolle Arbeit innerhalb der westlichen akademischen Welt. Und es gibt sogar noch den Wissenschaftler als Einzelkämpfer. Hier ist es ein sprachbesessener Akademiker, den man ruhig Held der Sprache nennen kann.

Denn nicht überall auf der Welt wird Sprache zerstört. Wie der Filmtitel sagt, hier will einer EINE SPRACHE RETTEN und sogar wiederbeleben, also aus einer fast toten Sprache eine lebendige machen. Indrek Park heißt dieser Linguist aus Estland, der zumindest zum Zeitpunkt der Entstehung des Films in den USA an der Uni von Indiana, beim American Indian Studies Research Institute, tätig ist. Als Doktorarbeit erstellte er eine „Grammatik des Hidatsa“, einer Sioux-Sprache. Danach galt sein Hauptinteresse dem Mandan, das derselben Sprachfamilie angehört. Hauptbeschäftigung in den vergangenen Jahren war es, den letzten, schon sehr alten und kränklichen Mandan-Sprecher eines Stammes in Nord-Dakota sprachlich auszuquetschen, um so viel wie nur irgend möglich aufzuzeichnen.

Der Regisseur des Films, Liivo Niglas, ist Ethnologe, doch handelt EINE SPRACHE RETTEN dabei gar nicht so sehr von der Sprache selbst oder dem Indianerstamm. Er interessiert sich auch nicht für das Leben des letzten Sprechers Edwin Benson, der vor kurzem gestorben ist. Es geht vor allem um den Akt der Sprachbelebung, in dessen Zentrum der Akademiker als besessener, aktiver Perfektionist steht. Und Park weiß selbst, dass es sich tatsächlich erst einmal seltsam anhört und sicher auch für ihn oft genug seltsam angefühlt hat: Ein weißer Este gibt in den USA einem Indianer-Stamm in Nord-Dakota Unterricht in ihrer eigenen Sprache Mandan. Und dann sei es vielleicht doch nicht so weit voneinander entfernt, denn die baltischen Staaten sind ein bisschen wie autonome Reservate am Rande eines bedrohlichen, riesigen Russlands, dass auch ohne militärische Mittel eine große, einflussreiche kulturelle und sprachliche Übermacht hat.

Und Park hat sich auch geistig auf die Welt des Stammes und seiner Sprache eingelassen, so weit, wie man eben kann, ohne direkt dazuzugehören. Er hat Sinn für Schönheit und Komplexität einer Sprache, und Sprache ist mehr als Grammatik und Vokabeln. Jede Sprache verkörpert eine andere Art des Denkens und Fühlens. Es geht darum, die dahinter stehende Kultur zu verstehen. Er macht einen Spaziergang an einen heiligen Ort mit einer unheimlich tiefen Höhle, in der eine Eule hausen soll. Ein Berg für Visionen. Und am Schluss ist er sogar das einzige Bindeglied zwischen dem sterbenden letzten Sprecher Benson und dessen Umfeld, denn auf dem Totenbett redete dieser nur noch Mandan und Park musste der Familie und den Schwestern im Krankenhaus alles übersetzen. Der Film zeigt Park bei einem Zigaretten-Ritual am Grab Bensons im Schnee.

Park ständig zu filmen funktioniert auch, weil von ihm Energie ausgeht und weil er durchaus die Art Entertainer-Qualitäten hat, die ein Akademiker brauchen kann. Er hat im Stammes-Reservat ein Büro und man sieht ihn bei all den praktischen Arbeiten. Die wissenschaftliche Notierung all seiner Aufzeichnungen, das Erstellen von Lernmaterialien, die Verwaltung der Homepage. Man sieht ihn beim Unterricht. Das Hauptziel sind die kleinen Kinder, denn Voraussetzung für das Leben der Sprache sind Grundkenntnisse und Interesse bei den jungen Leuten. Aber er unterrichtet auch Erwachsene. Und es gibt ständige Zweifel, ob man genug Material hat, ob das alles denn auch einigermaßen der echten Sprache entspricht, die Benson beherrschte. Dazu kommt der Zeitdruck, der Gelddruck, denn die Ölpreise sinken und der Stamm nimmt nicht mehr so viel ein.

Dann kommt Park auch noch das Privatleben in die Quere, denn in Estland ist eine Frau und dann ist da ein Kind. Niglas ist ein anhänglicher Regisseur, der seinen Filmhelden am liebsten auch noch auf das wichtigste Date dessen Lebens begleitet hätte. In den USA vermisst Park Estland, guckt Liederfestivals auf YouTube und kriegt Tränen in die Augen. Am Ende wirkt er ein wenig wie ein Gefangener seines Erfolges. Denn Erfolg scheint er wirklich zu haben. Das Interesse bei den jungen Stammesmitgliedern ist da. Er erzählt, dass er jetzt sprachliche „Schatten“ habe, die ihn ständig ausfragen, so wie er an Benson hing. Denn zu allem kommt eine große Verantwortung. Schließlich ist er  ja jetzt, zumindest vorerst, der letzte Mandan-Sprecher. Als hätte er Bensons Platz eingenommen. Das ist die Ironie der Geschichte.