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Samstag, 16. Januar 2021

Ville Jankeris DER WALDRIESE – Tormälä zuerst

 

Ville Jankeris DER WALDRIESE / METSÄJÄTTI (Finnland 2020) beruht auf einem Roman von Miika Nousiainen von 2011. Die Story selbst ist einfach und prinzipiell vorhersehbar. Im Mittelpunkt steht Pisa, ein Helsinki-Karrierist in einem großen internationalen Konzern. Alles ist perfekt um ihn herum. Hübsche Frau, erstes Kind unterwegs, neue edle Wohnung, im Beruf auf dem Weg nach ganz oben. Doch da bekommt er den Auftrag, im Sägewerk seines Provinz-Heimatortes Tormälä Arbeiter zu entlassen, was ihm sehr unangenehm ist. Er findet einen Ausweg, wird aber selbst von seiner Firma hereingelegt, spielt noch mit, bis er sich dann doch gegen das System auflehnt, sich gegen das Globalkapital wendet.

DER WALDRIESE ist ein schöner und bewegender Film, der dazu auch noch sehr komisch ist und dabei auf die nordische Sünde der Skurrilität verzichtet. Daher bin selbst ich, als chronisch Unzufriedener, völlig einverstanden mit dem Publikumspreis der Nordischen Filmtage Lübeck 2020. Das Rezept, diese an sich nicht originelle Story echt, menschlich, authentisch zu machen besteht in der Zurückhaltung. Der Film tut gar nicht so, als würde er das filmische Rad neu erfinden und verlässt sich ganz auf die ruhige, gedämpfte, effektfreie Inszenierung und die Darsteller. Die verschiedenen Handlungsfäden sind sehr geschickt verflochten, sodass trotz des politisch-sozialen Inhalts kein moralisierender Thesenfilm, kein didaktisches Gleichnis entstanden ist. DER WALDRIESE bleibt bei einer individuellen Geschichte, in der nicht jede Szene auf größere gesellschaftliche Zusammenhänge verweist, so wie man es oft beim Sozialrealismus nach dem Vorbild von Ken Loach erleben kann.

Statt Betroffenheit und sich schnell verflüchtigender Gesellschaftskritik gibt es Humor, Ironie, einen Sinn für das still Absurde der ganzen Situation, ohne den Ernst aus dem Blick zu verlieren. Die eigentliche Hauptstory ist rein menschlich, ist eine Integration, eine Reintegration ganz genau gesagt. Die von Jussi Vatanen dargestellte Hauptfgur steht von Anfang an neben sich: stumm, starr, eine funktionierende, perfekt-intelligente Maschine in allen Rollen, sowohl als Partner als auch als Geschäftsmann. Nach einer teilweise traumatischen Jugend mit einem erst trinkenden, dann unkontrolliert saufenden, allein erziehenden Vater hat er sich von seiner Arbeiter-Herkunft distanziert und sich so selbst entwurzelt. Eine kleine lakonische Szene zeigt den stillen, intimen Realismus des Films. Pasi trifft seinen besten alten Freund. Sie sitzen in dessen Wohnzimmer, wissen nicht recht, was sie sagen sollen. „Metallica oder Maiden“ , sagt der Freund plötzlich, und der Bann ist gebrochen. Es endet mit Saufen und Kneipe. Damit ist Pasis Schale immer noch nicht ganz zerstört, aber sie bekommt ab jetzt immer mehr Risse.

Während diese Reintegration sehr warmherzig gezeigt wird, wird es bei der Welt der Politik und des Großkonzerns satirisch. Pasi hat ja eine Idee, wie er die Entlassungen verhindern könnte, braucht aber Unterstützung der Kommune. Aber da ist die linke Partei, die gegen alles ist, wenn es von Kapitalisten kommt. Natürlich hirnverbrannt, aber nichts Neues. Also braucht er seinen eigenen Politiker. Sein Freund muss herhalten und es folgt ein wirklich witziger Wahlkampf. Hausbesuche. Eine Rede in der Kneipe: „Können wir jetzt trinken? Du hast unsere Stimme.“ Nach der Schließung des Sägewerks hat Pasi seinen Wahrheits-Ausbruch vor laufender Kamera. Aber anstatt gefeuert zu werden, bekommt er den Job als „Director of ethics“ angeboten. Der Kapitalismus springt auf den Zug auf und nutzt Moral als Imagekampagne, was ja tatsächlich immer beliebter wird. Und wenn Pasi am Ende mit alten Freunden ein kleines Holz-Unternehmen gründet und man den ersten Erfolg feiert mit dem Motto „Tormälä first“, wie es in den Untertiteln lautet, dann ist die Parallele, ob nun beabsichtigt oder nicht, zu „America first“ von Trump ziemlich augenfällig. Wie gesagt, ein schöner Film, aber hoffentlich nicht nur ein utopischer letzter Abgesang, denn das große Symbol des Widerstands gegen das Globalkapital wurde ja planmäßig aus dem Weg geräumt.

 



© Solar Films Inc. (Quelle: Nordische Filmtage Lübeck)