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Donnerstag, 21. Januar 2021

Maria Sødahls HOFFNUNG – Eine bange Weihnacht


Regisseurin Maria Sødahl hat mit HOFFNUNG / HÅP (2019), der auf den Nordischen Filmtagen Lübeck 2020 zu sehen war, einen norwegischen Weihnachtsfilm gedreht, der wohl kein typisch feiertäglicher Weihnachtsfilmklassiker werden wird. Es ist die Chronik einer Weihnacht mit einer bösen Nachricht und viel ungewissem, angsterfülltem Hin und Her. Eine erfolgreiche Theaterregisseurin, die mit ihrem Lebensgefährten im Rahmen einer echten Großfamilie lebt, erfährt, dass sie einen vermutlich unheilbaren Hirntumor hat, wahrscheinlich als Folge der Streuung nach einem im Jahr zuvor überwunden geglaubten Lungenkrebs. Es kommt um so mehr wie ein Schock über sie, da es sie in einer wirklich glücklichen Zeit überfällt. Da ist nicht nur die Freude auf Weihnachten mit Familie und Freunden, sondern auch die Freude über beruflichen Erfolg: eine umjubelte Theaterpremiere, ein Auslandsangebot. Das Leben scheint ihr offen zu stehen, und plötzlich knallt ein schweres, dunkles Tor vor ihr nieder und nur der Durchgang zu einem unübersichtlichen Labyrinth steht noch offen.

Gezeigt wird in HOFNUNG ein geistig-praktischer Kampf an vielen Fronten. Einmal die medizinisch-psychologische Hauptgeschichte: das Verstehen der Krankheit, Befürchtungen und Hoffnungen, ein ständiges Wechselbad der Gefühle und des physischen Leidens. Parallel dazu das Durchdenken des persönlichen Lebens, die plötzlichen Zweifel an der Beziehung, worauf eine Wiederannäherung auf neuer Basis folgt. Und dann die große Frage: Wie und wann sag ich's den Kindern? Und den Freunden? Der Mensch in seinem alltäglichen Hamsterrad erkennt oft erst zu spät, was wirklich wichtig ist. Und das ist das Private. Kurz erwähnt werden sollte, dass die Geschichte auf Autobiografischem beruht.

Filme über Krankheit sind allzu oft eine leichte und billige Möglichkeit, Gefühle zu erzeugen. Der fürchterliche LOVE STORY (1970) ist das Symbol für diese Art des morbid-kitschigen Gefühlspornos, das genaue Gegenteil von spirituell angehauchten Filmen wie Edmund Gouldings DARK VICTORY (1939). HOFFNUNG gehört in keine der beiden Kategorien, denn thematisiert wird hier ja nicht das Sterben, sondern vor allem die Angst vor der Krankheit, die Konzentration auf das kleine Fünkchen Hoffnung, das für Ärzte oft nur eine zu vernachlässigende statistische Größe ist. Und dazu kommt das Jagen nach der zweiten medizinischen Meinung – und das ausgerechnet über Weihnachten. Der Film vermeidet jede Sentimentalität, ist aber auf der anderen Seite auch nicht gefühlsarm oder gewollt spröde. Die ständigen, unvorhersehbaren, temporeichen Wechsel der Ebenen und Gefühle, die zeitlich-dramaturgische Konzentration auf die Weihnachtstage verhindern sowieso das Überstrapazieren sich wiederholender Gefühlsakkorde.

Der Film hat seine besten Szenen im Zusammenspiel der beiden Hauptfiguren, wo zwei Spielweisen aufeinander treffen. Andrea Bræin Hovig trägt den Film mit einer starken, mal angespannten, mal ausbrechenden Energie, quer durch alle Stimmungslagen und Verhaltensweisen. HOFFNUNG gibt überwiegend ihre Perspektive wieder, teilweise fast immersiv, etwas, das schnell ermüdend wirken kann. Aber dann ist ja Stellan Skarsgård als Lebensgefährte da, um das Gleichgewicht zu halten. Skarsgård gehört zu den Schauspielern, die wissen, wie man das Bild, wie man eine ganze Leinwand füllen kann, aber hier beschränkt er sich die meiste Zeit aufs Reagieren, auf Einfühlung und Beobachtung. Dazu ist die Figur des Lebensgefährten schließlich verurteilt. Kein falsches Wort, kein falscher Blick, keine falsche Geste sind erlaubt. Und das ist schwierig, wenn man nicht voraussehen kann, was falsch und was richtig ist. Und so mischt sich in Skarsgårds mitunter erstarrte Zurückhaltung ein ständiges Lauern, ein Abwarten und eine Unsicherheit. Würde der Film nicht mit beiden Blickrichtungen – beiden Vektoren sozusagen – arbeiten, bestünde die Gefahr penetranter Subjektivität. Sein Blick auf sie ist wie ein Spiegel, erzeugt das Gleichgewicht, eine analytische Distanz.

HOFFNUNG ist eine Aneinanderreihung vieler intelligenter, gut geschriebener, einfühlsam inszenierter und innerlich gespielter Szenen. Das, was man wohl einen gelungenen Film nennen kann. Doch auf Dauer wird der Zuschauer zu sehr dem Prinzip des Mitfieberns, der Teilhabe an Entscheidungen unterworfen. Es fehlt nur noch die berühmte Frage: „Wie würden Sie entscheiden?“ Die vielen Details ermüden auf Dauer und unterwerfen den Film einem bodenständigen Realismus, der sich mitunter bleiern schwer anfühlt und angesichts einer Länge von 130 Minuten zumindest mich überdurchschnittlich oft auf die Uhr oder in diesem Online-Festival-Fall auf den Zähler gucken ließ. Es weist einfach nichts über die reine, detaillierte Darstellung der Ereignisse hinaus. Der Film tritt geistig auf der Stelle. Selbst die Hochzeit in einer Kirche ist vor allem ein theatralisch-symbolischer Akt unter Freunden. Aber darin ist der Film natürlich durch und durch ein treues Abbild unserer Zeit und seines bürgerlich-kulturellen Milieus.