In DIE GRUBE geht es um einen Jungen. Einen Jungen, der etwas wirklich Schlimmes angestellt hat. Man weiß allerdings zunächst nicht, was denn genau. Am Anfang gibt es eine lange Kamerabewegung hinter ihm her, der aus einem Wald stiefelt. Man kriegt ein Gefühl für den Ort, den Raum und auch für die grimmige Entschlossenheit des Jungen, der auf schnell schwächer werdenden Rufe hinter ihm nicht reagiert, nicht reagieren will in seiner verbissenen Wut. Nach und nach begreift man: Er hat ein kleines blondes Mädchen in einem tiefen Loch im Wald zurückgelassen, wo sie im Regen einige Stunden ausharren muss, bevor die Mutter und andere sie finden.
Danach
ist Markuss, so der Name des Jungen, ein Ausgestoßener, eine Art
Ausgeburt des Bösen, die wie ein neuer Damien aus DAS OMEN (1976)
beäugt wird. Er ist auf der ständigen Flucht vor Jungs, darunter
auch der Bruder des Mädchens, die ihn verprügeln. Er zieht sich
daher gerne in sein Zimmer zurück und malt. Immer wenn der Junge allein mit sich ist, zeigt Pūces
einen Sinn für das still Beobachtende, das Innerliche. Und wenn der
Zuschauer zu wissen bekommt, dass das Mädchen durch eigenes böses
Verhalten den Stein der Rache erst ins Rollen gebracht hat, dann wird
DIE GRUBE ein fast transzendenter Film über das nicht eindeutige,
fluktuierende Wesen des Bösen in dieser materiellen Welt, das oft
nur eine Frage der Perspektive ist. Und zu DAS
OMEN gesellt sich DIE BÖSE SAAT (1956).
Außerhalb
der Gesellschaft verschafft Markuss sich sogar die Gelegenheit, seine
künstlerischen Fähigkeiten zu entwickeln. Durch Botengänge hat er
Kontakt mit einem einsamen, alten Mann im Wald geknüpft, der sich dann als
Frau entpuppt, als Lesbe in Männerkleidern, die nach demütigenden
Erlebnissen während der Sowjetbesatzung nicht wieder in die
Gesellschaft zurückgefunden hat. Zwei Außenseiter, zwei
Unerwünschte. Eine halb verfallene Hütte auf einer Lichtung im
Wald, ein unaufgeräumter Schuppen. Kunst, das Schöne, ein
Glasmosaik, ein Glasfenster, das macht am Ende den grauen Schuppen zu
einer Kirche. Und hier würde ich den Text am liebsten beenden, wenn
in dem Film nicht noch einiges mehr wäre.
Es gibt darüber hinaus leider eine konstruierte Anhäufung von Problemfällen, die die innerliche Einfachheit der Haupthandlung bedrängen und eigentlich nur, penetrant tautologisch, zeigen sollen, dass das wirklich Böse in der Erwachsenenwelt sein Zuhause hat und dabei leider ohne jede Ambivalenz in einem sozial-psychologischen Zusammenhang steht. Die überdrehte Mutter des Mädchens will, dass Markuss weggesperrt wird und hat das Jugendamt in ihrer Tasche. Schließlich war der Vater des Jungen nicht nur Künstler, sondern auch noch Junkie. Und es reicht nicht, die Lesbenthematik und die Sowjetvergangenheit als abstrakten Hintergrund zu haben. Sie muss in Form von biografischen Verbindungen zur Großmutter auch noch didaktisch und überdeutlich ausgewalzt werden. Dann ist da der Onkel, der seine Frau schlägt und kein Kind will, aber damit nicht genug, es kommt auch noch zu Fehlgeburt und Tod.
Das
sind düstere Zeiten für die Ästhetik, die auf Kosten eines überfrachteten
Inhalts erdrückt wird, vor allem, wenn man sehr deutlich sieht, dass da eine
Regisseurin ist, die einen Sinn für das Lyrische, das Einfache, für das Innenleben ihrer
Figuren hat. Leider ist DIE GRUBE dann teilweise doch nur eine überwürzte
Sozialrealismussuppe, die man nur durch ein göttliches Wunder so gerade wieder
hinkriegt. Markuss wird heroisch und rettet das Leben der Mutter des
Mädchens nach einem Autounfall. Nur dass hier der Realismus
einfach im Weg steht. Die heroische Tat wirkt hier nur
aufgepappt, um den Zuschauer nicht ganz im depressiven und
ausweglosen erwachsenen Gesellschaftshorrorsumpf versinken zu lassen. Das wirkliche, schöne, stille Wunder ist das Glasmosaik im Sonnenlicht.