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Sonntag, 3. Oktober 2021

TURE SVENTON OCH BERMUDATRIANGELNS HEMLIGHET (Staffel 1) – Kopfarbeit vs. Smartphone

 

Lingonboda ist eine fiktive, typisierte schwedische Kleinstadt ohne besondere Kennzeichen. Wäre hier nicht seit jeher das Zuhause des Privatdetektivs Ture Sventon. Sventon ist der Held einer Kinderbuchreihe von Åke Holmberg, die 1958-1973 entstand, wobei die frühen Bücher aus den 40ern und 50ern in den 70ern neu aufgelegt wurden. 1972 gab es durch eine Verfilmung mit Jarl Kulle in der Hauptrolle einen Popularitätsschub. Kulle besang sogar eine Single mit dem Lied „Ture Sventon“, komponiert und produziert von den beiden ABBA-Männern Ulvaeus und Andersson. Der „Waterloo“-Triumph beim Grand Prix war ja erst 1974. Zwei der Sventon-Bücher wurden erst 1999 ins Deutsche übersetzt, scheinen sich aber allen Anschein nach hierzulande nicht durchgesetzt zu haben. Dass die deutschen Verlage sich in den 1970ern dieser Serie nicht angenommen haben, liegt sicher auch daran, dass der Film mit Jarl Kulle den Weg in die hiesigen Kinos nicht geschafft hat. Es gibt übrigens noch zwei weitere filmische Bearbeitungen. Einmal als über sieben Stunden langer TV-Weihnachtskalender von 1989 und dann von 1991 T. SVENTON OCH FALLET ISABELLA.

TURE SVENTON OCH BERMUDATRIANGELNS HEMLIGHET (2019) ist, wie heute üblich, eine modernisierende und modernisierte Serie. Sie spielt im Schweden von heute und Sventon ist inzwischen ein alter Mann, der seit 25 Jahren nicht mehr gearbeitet hat und jetzt Räumlichkeiten seiner Villa aus finanziellen Gründe an eine Familie mit alleinerziehender Mutter untervermieten muss. Deren junge, und bis zur Unausstehlichkeit freche Tochter wird sich an Sventons Fersen heften und keine Ruhe geben, bis sie, mit einer neuen Schulfreundin, irgendwie zu seiner Assistentin wird.

Sollte man man angesichts all der seelenlosen Modernisierungen von klassischen Serienfiguren Bedenken haben, was die Autoern und Regisseure Per Simonsson und Stefan Roos nun auch noch mit Ture Sventon angestellt haben, dem kann die beruhigende Antwort gegeben werden: gar nichts. Es ist nur die Welt um ihn herum, die sich geändert hat. Er ist immer noch voller Selbstbewusstsein, derselbe wie früher. Das Einzige, worauf es bei einem Fall ankomme, wäre, sich in die Gedankenwelt des Verbrechers hineinzuversetzen. Konfrontation und gegenseitige Ergänzung von altmodischer gedanklicher Ermittlungsarbeit und Smartphone-Welt sind dann aber doch die Grundlage des Erfolges. Sventon ist der unverønderte kindgerechte Clouseau, bei dem sich Genialität mit der Fähigkeit zum alles durcheinander bringenden Chaos vermischt. Robert Gustafsson scheint für die Rolle geboren zu sein.

Und nach und nach tauchen dann auch im Laufe der 255 Minuten langen Serie die Dinge und Eigenschaften auf, die man kennt. Die Sekretärin, sein bester Freund aus Arabien Omar Ali, der ihm einen fliegenden Teppich geschenkt hat, seine suchtartige Vorliebe für Windbeutel, ohne die er nicht funktionieren kann, seine faszinierende Fähigkeit der Verwandlung und Maskierung, perfekt für Gustafsson, der ja in in den letzten Jahrzehnten in unzähligen genialen Comedy-Nummern sein Maskerade-Genie unter Beweis gestellt hat. Nur eine Macke ist bei Sventon entstanden: Die ständige Identifikation mit fremden Figuren, teilweise realen, teilweise fiktiven, hat ihm nicht gutgetan. Es besteht immer die Gefahr, dass er in der Diktion steckenbleibt. Das, was der Film hier zeigt, ist natürlich auch eine ironische Anspielung auf den Schauspielerberuf.

Der Fall selbst ist weitaus spektakulärer als gewohnt und verlässt die Ebene des schwedisch Provinziellen. Das gab es zwar auch vorher schon. Aber dieses Mal ist es eben ganz, ganz groß und betrifft die ganze Menschheit. Das Bermudadreieck-Rätsel wird hier endlich gelöst. Sventons Erzfeind, der Superbösewicht Ville Vesla, ist auf mystische Weise aus dem Gefängnis entkommen. Und jetzt geht es um Weltuntergang und Weltherrschaft. Der Film bewegt sich mit viel Originalität und Freude am skurrilen Erzählen hinaus in die angesagte Welt voller Mystery, Comedy und Fantasy, findet aber immer wieder den Weg zurück in die Kleinstadt Lingaboda und bleibt bis zum Ende auch eine Schul- und Familiengeschicht e mit ihren wahren Klischees ist, wie das der ehrgeizigen Übermutter mit dem weichgespålten, langhaarigen Ehemann.

Jede Nebenfigur ist sorgfältig besetzt. Es gibt keine Schwächen.  Einfach wunderbare Darsteller, wobei die Bösen sich gekonnt zwischen Groteske und Selbstparodie bewegen, besonders Villes dysfunktionale Familie. Die Serie ist bunt, abwechslungsreich und sehr komisch, stilistisch ausladend und visuell sehr ansprechend. Schön anzusehen.  Mit überraschenden, spannenden digitalen Bildern. Das Schiff am Nordpol, die Pyramide auf dem Meeresgrund, die einsame Pyramidengegend in der weiten ägyptischen Wüste. Und ein Vorteil hat es, dass ich die Serie erst jetzt gesehen habe. Die zweite Staffel ist  schon abgedreht. Da dauert das Warten auf die Heimvideo-Veröffentlichung nicht so lange.