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Seit
15 Jahren schon wollte der dänische
Regisseur Anders Refn DE FORBANDEDE ÅR
(2020) drehen, dessen internationaler Titel INTO THE DARKNESS ist. Kurzzeitig war sogar eine
Fernsehserie im Gespräch, aber daraus wurde nichts. Und das ist gut
so. Denn die Wirkung des Films liegt nicht zuletzt in seiner
Begrenzung und Konzentration, in der Gleichzeitigkeit der vielen
verschiedenen Handlungsstränge, die übereinander gelegt ein
beklemmendes Gesamtbild ergeben, das in einer Serie vielleicht zu
weit und zu lang ausgedehnt worden wäre. Präzision ist etwas
Schönes und gerät angesichts der vielen Serien manchmal in
Vergessenheit. Der Filmtitel übrigens ist nicht ganz leicht zu
übersetzen, eine Entscheidung kommt einer kleinen Interpretation
gleich: die verfluchten Jahre, die verdammten Jahre, die verflixten
Jahre, eigentlich alles drei gleichzeitig. Auf jeden Fall sind es
Jahre, die man sich wegwünscht, die es so besser nicht gegeben
hätte.
Damit, wie
die Jahre der Besatzung Dänemarks durch die deutsche Armee und der
Zusammenarbeitspolitik normalerweise erzählt werden, hat Refns Film
wenig zu tun. Die Erzählweise und Erzählgegenstände,
die man aus Filmen über jene Zeit gewohnt ist, findet man
hier nicht. Sofort nach dem Krieg war es das Bild des Widerstands,
das die Filme prägte, gleich angefangen bei den klassischen Werken
DE RØDE ENGE (1945), von Bodil Ipsen und Lau
Lauritzen jr, sowie DEN USYNLIGE HÆR (1945) von Johan Jacobsen,
wobei gerade ersterer eine sehr subtile Darstellung ist, aber eben
doch eine Widerstandsdarstellung. Und selbst wenn die Filme vom
Versagen erzählen, geht es nicht ohne Heroismus wie bei den von der
Regierung verlassenen Soldaten an der deutschen Grenze in Jütland in
9.APRIL – ANGRIFF AUF DÄNEMARK (2015). Und auch wenn es in
TAGE DES ZORNS (2008, dä.: Flammen og Citronen) oder auch der
norwegischen Produktion MAX MANUS (2008) um die düstere, ambivalente
Psyche von Widerstandskämpfern geht, es geht doch eben vornehmlich
um den Widerstand. FUGLENE OVER SUNDET (2016) schildert dann die
Rettung der Juden durch die nordseeländischen Fischer nach Schweden
hinüber. Und selbst ein Film wie UNDER SANDET (2015) ist zwar die
Darstellung einer dänischen Sünde, aber doch unter der
Voraussetzung, dass die Dänen nur Opfer waren, die sich aber nicht auf diese Weise rächen sollten. Einen
Roman gibt es, der die ganze Besatzungszeit etwas weniger heroisch
schildert, das ist der ausgezeichnete „Frydenholm“ (1962) von
Hans Scherfig, aber der ist dann wieder kommunistisch gefärbt.
DE
FORBANDEDE ÅR beginnt am 9.April 1940 mit
einer Silberhochzeit. Natürlich weiß man,
was da kommt. Es ist klar, das die fröhliche Familienfeier in Kürze
unterbrochen werden wird. Flugzeuge dröhnen denn auch bald über den
Himmel. Flugblätter segeln von oben herab, Vorboten der
einmarschierenden deutschen Truppen. Und da wird es schon ungewohnt,
denn all die so oft schon gesehenen Klischeebilder, diese Standards,
auf die verzichtet Anders Refn. Man sieht diese einmarschierenden
Truppen nicht. Die Deutschen tauchen überhaupt physisch kaum auf in
diesem Film und dennoch ist praktisch jede Handlung ab diesem Tag
durch ihre Anwesenheit bedingt. in DE FORBANDEDE ÅR
geht es um die Auswirkung auf den Alltag, die jeder am Anfang
des Films unterschätzt, als könnte man einigermaßen so
weiterleben wie vorher.
Im
Mittelpunkt steht eine dänische Musterfamilie voller
Zusammenhalt, eine Unternehmerfamilie, die
Frau, gespielt von Bodil Jørgensen,
stammt aus der Oberschicht, der Mann,
Jesper Christensen, hat sich offensichtlich nach
oben gearbeitet, kann gleich auf gleich mit
seinen Arbeitern kommunizieren. Dazu
kommt noch der erweiterte Kreis der Familie mit der Haushälterin und
deren Kommunistensohn, befreundet mit einem Sohn des Hauses. Das
alles repräsentiert sehr gut das Dänemark jener Zeit. Es geht hier
um die normale Mitte der Gesellschaft. Und wenn
jeder denkt, er könnte der Alte bleiben, ist
es eine Illusion, die befördert wird von
der Zusammenarbeitspolitik der Allparteienregierung unter Sozialdemokrat Thorvald Stauning. Pro forma gab es also eine
reguläre dänische Regierung, und was passierte, hatte den Anschein
der Legalität.
Refn bleibt
immer auf Augenhöhe mit den Figuren, filmt sie mit einem gewissen
Wohlwollen, ohne nachsichtig zu sein. Er wird auch nie zynisch,
erhebt sich nicht moralisch, lüftet nicht didaktisch den
Zeigefinger. Es gibt hier nicht eine einzige offen provozierende
Szene, die, wie man sagt, überdeutlich den Finger in eine nationale,
historische Wunde legt, es kommt alles ganz einfach und scheinbar
harmlos daher. Denn hier handelt es sich um eine Tragödie, in der
eigentlich zunächst niemand wirklich etwas falsch macht, alles liegt
ganz natürlich in der Persönlichkeit der durch und durch netten Figuren begründet. Aber
das Unbehagen sickert dann im Laufe des Films immer mehr in den
Zuschauer ein. Gleichzeitig werden diese souveränen Menschen immer
unsicherer. Ganz besonders der Unternehmer, den Jesper
Christensen in einer Mischung aus Autorität und Hilflosigkeit
spielt. Das beginnt schon bei seinem kläglichen Selbstbetrug, als er
irrtümlich im Zusammenhang mit zwei jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland an
das fortdauernde Gelten dänischer Gesetze und seinen Einfluss bei wichtigen Personen
glaubt. Die Familie will er retten, die Firma will er retten und
steht dann doch sehr alleine da am Ende. Oder am vorläufigen Ende.
Eine Fortsetzung des Films wäre möglich und wünschenswert.
Die Mutter,
gespielt von einer immer müder wirkenden Bodil Jørgensen, hingegen will gar nichts
mit den Deutschen zu tun haben. Das ist aber kein Widerstand, das ist
bloß eine Flucht vor der Wirklichkeit. Selbst dass der älteste Sohn
zum Dänischen Freikorps geht und an der deutschen Ostfront
mitkämpft, liegt nicht an seiner Nazi-Gesinnung, sondern an seinem
Antikommunismus. Schon im Winterkrieg hat er auf der Seite der Finnen
gegen die Sowjets gekämpft, da erscheint ihm dies jetzt als logische
Fortsetzung. Und besonders ambivalent wird es, als es um die
menschlichen Qualitäten zweier junger Männer geht. Der junge Däne
schickt seine Freundin mit Unterstützung des Vaters zur Abtreibung
und lässt sie dann sitzen. Der deutsche Offizier heiratet eine junge
Dänin ganz selbstverständlich. Alles Menschliche bleibt ambivalent
und natürlich.
Das ändert
nichts daran, dass hier im Hintergrund eine böse, verbrecherische
Politik betrieben wird. Aber den typischen deutschen Film-Nazi, auf
den man sonst so schön das eigene Böse abschieben kann, gibt es hier
nicht. Das Böse müssen die Dänen hier selbst vollbringen. Hier
kommen nicht die Gestapo, die SS oder die Wehrmacht, um Kommunisten,
Widerständler, Flüchtlinge zu jagen, verhaften, deportieren,
erschießen. Das machen ja alles die Dänen und teilweise mit
eigentlich gar nicht notwendigem Einsatz. Und es gibt die Männer in
der bürgerlichen Elite, die begeistert sind, wie viel Geld sie im
Krieg verdienen, wie grandios die Verdienste Deutschlands sind und
wie schön es doch eigentlich ist, dass man die internierten Kommunisten endlich
los ist. Durch die ganze Gesellschaft, von der Armee bis zur
Arbeiterschaft, zieht sich diese Sympathie für die
Deutschen, auf deren Sieg man sich zunächst vorbereitet.
Refn
betrachtet dabei die äußeren ebenso wie die inneren Konflikte, ohne
dabei übertrieben psychologisch oder auch nur ansatzsweise metaphysisch zu werden. Es geht um
das Böse, aber alles bleibt sehr konkret, materiell. Dennoch scheint er
mit solch einem Film der Generation unter der seinen, mit seinem Sohn
Nicolas Winding Refn, mit Lars von Trier, Ole Bornedal, näher zu
stehen als seinen eigenen Altersgenossen, von denen er in einem neuen
Interview mit der dänischen Filmzeitschrift EKKO spricht: Bille
August, Nils Malmros. Und dann versteht man auch ganz gut, wie er
die Filme von Trier schneiden kann, auch wenn sie ganz anders sind
als seine eigenen. Und wie er nahtlos nicht nur Triers Cutter,
sondern seit einigen Jahren auch sein Assistenzregisseur für die
Versicherungen sein kann, wenn der Meister wegen Krankheit bei den
Dreharbeiten ausfällt.