Sei es der Betrachter eines Bildes, sei es der Benutzer eines Gebäudes, sie sind eingeplant, mitgedacht. Und zwar auf eine individuelle Weise, wenn etwa Malerin Schjerfbeck das Licht ihrer Ausstellung genauestens kontrolliert oder wenn Architekt und Renaissance-Mensch Aalto bei einem Krankenhausbau ganz besonders den einzelnen Patienten mit einplant oder die Individualisierung standardisierten Bauens für die Masse praktiziert. Und Jenny Lind entzieht sich schon mit 32 Jahren der ungeheuren Massenverehrung und der Medienaufmerksamkeit und tritt als verheiratete Frau nur noch vereinzelt auf, vor allem mit religiöser klassischer Musik und für die Wohltätigkeit.
WIE EIN GEMÄLDE VON EGGERT PÉTURSSON
Gunnlaugur Thór Pálssons WIE EIN GEMÄLDE VON EGGURT PÉTURSSON / EINS OG MÁLVERK EFTIR EGGERT PÉTURSSON (Island 2020) ist eine Dokumentation, die sich nicht nur visuell auf die Schönheit der Bilder von Eggert Péturssons Bilder einlässt, sondern gleichzeitig mit ihrer Entstehung und ihren Prinzipien vertraut macht. Pétursson malt, einfach gesagt, Bilder über die isländische Flora und Fauna, vor allem die Blumen. Man sieht die frühen großen Werke, beispielsweise sich scheinbar in die Unendlichkeit ausdehnende einzelne Heideblumen, interessant, aber dann auch wieder monomanisch. Es folgt der Weg hin zu subtileren, komplexeren, schöneren, ebenso realistisch wie psychedelisch-traumhaften Arrangements. Die Bilder werden trotz der anhaltenden Detailfreude rauer, abstrakter.
Dass der Film so tief in die malerische Praxis hineintauchen kann, wird ermöglicht einmal durch die Zusammenarbeit mit dem Maler selbst, aber dann eben auch durch die Tatsache, dass es sich um sehr durchdachte, in ihrer Wirkung detailliert geplante Bilder handelt. Denn Pétursson macht überhaupt kein Geheimnis aus den Grundlagen der Entstehung und zeigt vor der Kamera ganz offen seine Skizzenbücher, die für sich schon wieder faszinierende Kunstwerke sind, die in vielem einem Drehbuch ähneln, wo die einzelnen Bildteile und ihre Anordnung innerhalb des großen Ganzen genau beschrieben sind.
Grundlagen und Biografisches werden auch geliefert. Pétursson war dem linken anarchistischen Kunstmilieu der 1970er verbunden, verschrieb sich der Konzeptkunst, bei der man im Allgemeinen weiß, was man tut. Und so ist er nebenbei auch ein ausgezeichneter Kurator für die Ausstellungen der Kunst anderer. Pétursson ist blumenbesessen seit seiner Kindheit. Wenn die Familie mit dem Auto unterwegs war und er „Blume!“ rief, hielt man an und er botanisierte. Und so wollte er ursprünglich Botaniker werden, und durch die Illustrationen für ein Botanik-Buch verbanden sich dann später auf einmal doch seine beiden Interessen. Die offizielle Anerkennung für seine Arbeit hat etwas gedauert: Im Film ist eine Museumsleiterin, die seine Kunst jetzt inzwischen mag, weil er es, so sagt sie, schon so lange macht und weil ein Konzept dahintersteckt. Was für eine deprimierende Logik: Mit den Argumenten wird auch seelenloser Modernemüll gerechtfertigt.
In Péturssons Bildern steckt nicht nur viel und oft jahrelange Arbeit, es liegt auch eine ausführliche Feldforschung zugrunde. Man sieht ihn bei der Recherche, dem Skizzieren in der Natur. Mit einer Botanikerin durchstreift er die Gegend im Skaftafell-Nationalpark und beim Hofsjökull-Gletscher. Die Wissenschaftlerin macht ihn auf seltene, versteckte Pflanzen, auf Besonderheiten aufmerksam, die ihm sonst vielleicht entgangen wären. Fotos, Notizen, Zeichnungen sind das Ergebnis dieser präzise beobachtenden Exkursionen. „Es ist schön, im Lavafeld zu verschwinden“, sagt er. Das Lavafeld ist für Pétursson die Entsprechung zur Wälder-Mystik anderer Länder. Schnee und Lava sind essentieller Bestandteil der Bilder. Bei diesen Spaziergängen am Gletscher verbindet sich die Arbeit des Malers mit der des Regisseurs der Dokumentation. Denn Gunnlaugur Thór Pálsson hat als Regiedebüt einen Film über die isländischen Gletscher gedreht, über deren Schönheit und deren langsames Verschwinden. Péturssons Bilder bewahren auf ihre Art auch etwas, das verloren geht.
All diese genannten
Elemente bilden die Grundlage für die besondere Wirkung der Bilder,
den Dualismus ihrer Rezeption. Die abstrakte Buntheit lädt zum
meditativen Betrachten aus der Ferne ein. Man wird also einerseits
für die Wirkung des Ganzen gewissermaßen weggeschoben, um das Geheimnisvolle, Mystische auf abstrakte Art zu sehen. Der
Detailreichtum der einzelnen Pflanzen aber saugt den Betrachter dann wiederum in das Bild hinein:
Gefühl und Verstand werden in einer Art unaufhörlicher
Wellenbewegung gleichzeitig angesprochen. Und das sorgt dafür, dass
selbst die seltsam buntesten Bilder nicht kitschig wirken können.
HELENE
HELENE (Finnland 2020) ist ein biografischer Film, eine Romanverfilmung, die sich auf eine begrenzte, stark emotional aufgeladene Zeit im Leben der finnlandschwedischen Malerin Helene Schjerfbeck konzentriert: Mit Anfang 40 erlebte sie eine relativ kurze, aber heftige Liebesgeschichte mit einem fast 20 Jahre jüngeren Mann. Eine Liebe, aber vor allem eine Besessenheit, die sich ihr so sehr in den Körper frisst, dass sie nach dem unglücklichen Ende, nach der Verlobung des Mannes mit einer jungen Frau, lange Zeit mit Schock im Krankenbett liegt. Diese Besessenheit lebt sie auch in ihrem künstlerischen Leben aus, und das nicht nur beim Akt des Malens. Drei Stunden lang sucht sie auf einem Markt den perfekten Apfel für ein Bild. Dass ihr unerbittlicher, präziser ästhetischer Wille nicht mit dem Malen endet, kommt zum Ausdruck, wenn sie bei einer Ausstellung sehr viel Zeit damit verbringt, die Vorhänge vor einer Fensterschrägung ideal zu platzieren, um die perfekte Lichtsetzung zu erzeugen.
Man spürt in HELENE einen Willen zum Stil, zur quasi-malerischen Komposition. Die vorherrschenden Farben in vielen Szenen sind braun, beige, ocker, wie in vielen von Schjerfbecks Bildern. Und wenn der Film sich in dieser unbunten Welt bewegt, vor allem in den kammerspielartigen Szenen in dem bescheidenen Holzhaus auf dem Land, wo Schjerfbeck mit ihrer Mutter lebt und kämpft, dann ist der Film am besten. Die Arbeit, das Essen, das Streiten, das hat eine Intimität, die auch die Bilder haben. Visuell banal hingegen wird es, wenn ein pittoresk malerischer Effekt gesucht wird, den Schjerfbeck eben nicht sucht. Einmal werden Pusteblumen auf einer Wiese in einer Totalen im Vordergrund ins Bild genommen, eine kindische Ästhetisierung als Selbstzweck.
Es sind am Ende die weiblichen Figuren und die sie darstellenden Schauspielerinnen, die besonders in Erinnerung bleiben. Vor allem Hauptdarstellerin Laura Birn vermittelt eine stille Intensität und Klarsicht. Sie spielt mit sparsamen Mitteln, macht Schjerfbeck verstehbar. Ständig zuckt es unter der hart wirkenden Oberfläche, als wollte die unflexible Schale durchbrochen werden, oder, anders herum, als müsste sie ständig stabilisiert werden. Auf Letzteres trifft die Szene beim inzwischen verlobten Ex-Geliebten zu, wo die niedliche junge Braut in spe mehr schlecht als recht, aber ständig kichernd und abbrechend, Geige spielt.
Dann Pirkko Saisio als Mutter, mit der die Tochter sich biestrige Duelle liefert. Beim Familienleben taucht der Film in unangenehme Abgründe. Dies wird ausgeglichen durch Krisa Kosonens Darstellung der sehr praktischen Freundin Helena Westermarck, neben einem Galeristen Schjerfbecks unentbehrliche Stütze. Seltsam blass bleibt Johannes Holopainen als Liebhaber Einar Reuter. Aber das soll wohl so sein, denn eigentlich gehört er nicht direkt in diese Künstlerwelt, auch wenn sie ihn fasziniert. Man fragt sich, was das eigentlich für eine Liebe ist. Deutlich wird vor allem die physische Anziehung, Schjerfbecks sowohl malerische wie private erotische Besessenheit von Reuters Körper.
Nach dem Überwinden
ihrer Krise steht Schjerfbeck an der Staffelei und denkt, in Form
eines inneren Monologs aus dem Off , über die Flüchtigkeit
besessener Träume nach und wie sie mit der Zeit hinter dem Horizont
verschwinden. Dann bleibe nur ein weißes Blatt und Entzücken. Dann
lächelt sie einem Vogel zu, der durch das offene Fenster auf ihren
Schreibtisch gehüpft ist. Es folgt eine Überblendung in Weiß, wie
eine Überbelichtung, wie eine Auflösung aller Probleme. Und das ist
ein sehr schönes, still zufriedenes Ende für einen mitunter etwas
trockenen, emotional statischen Film. Oder, besser gesagt, es wäre
ein schönes Ende, wenn denn jetzt der Nachspann oder, wie heute oft
üblich, der nachgeholte Vorspann einsetzte. Aber hier macht der Film
etwas Fürchterliches, etwas Unverzeihliches. Denn jetzt wird es
bildungsbürgerlich museal. Hat man gerade die geistige Freiheit der
Künstlerin in dieser schönen Szene zu spüren bekommen, wird sie
dann in Museumsmauern eingesperrt. Es gibt eine Kamerafahrt in eine
Museumswerkstatt. Und zu gepflegtem Klavier bekommen wir originale
Gemälde von Schjerfbeck serviert. Wer da nicht vor Ehrfurcht
erzittert. Wie als Beweis ihres anhaltenden Wertes. Das bestätigt
nur, was man während des Films immer wieder denken und fühlen
konnte. Das Akademische, das übermäßig Gepflegte ist kein Zufall, kein Missgriff.
Es ist wohl doch Programm.
AALTO
Bei Virpi Suutaris Dokumentation AALTO (Finnland 2020) stehen Leben und Arbeit des finnischen Architekten Alvar Aalto (1898-1976) im Mittelpunkt. Dadurch allerdings, dass der Filmtitel ganz bewusst nur den Nachnamen, wie eine international bekannte Marke, im Programm hat, sind aber auch die für Alvar unverzichtbar und gleichberechtigt neben ihm arbeitenden Ehefrauen mit eingeschlossen. Die erste Ehefrau Aino Aalto (1894-1949) und die zweite Elissa (1922-1994). Alle liegen übrigens zu dritt in einer Grabstelle beerdigt. Arbeit und Privates sind untrennbar in diesen Lebens- und Liebesgeschichten. Dabei wird es im Zusammenhang mit der Ehe von Alvar und Aino sehr intim durch die vielen Zitate aus Briefen, was unleugbar interessant ist, es manchmal aber auch etwas Unangenehmes hat, dabei zuzuhören. Aber die Worte bringen uns die Menschen tatsächlich sehr nahe. Es folgte eine zweite Ehe, wieder eine Arbeitsbeziehung, mit einem ähnlichen Typ Frau.
AALTO vermischt also den psychologischen, biografisch-chronologischen Zugang mit einer genauen Betrachtung des frühen Möbeldesigns und dann der wichtigsten weltweiten Bauwerke, die sämtlich bereist wurden für die Dokumentation. Die kontinuierliche Darstellung dieser Untrennbarkeit ist die schönste Leistung des Films. Alvar Aalto bewegt sich zwischen individuellem Stilwillen, Kunst, Schönheit und Funktionalismus. Mit Aino produziert er Möbel zu einem erschwinglichen Preis. Er legt viel Sorgfalt auf die praktischen Details, den Zweck und die Lage des Gebäudes, sei es Krankenhaus, Uni oder Kirche. Gezeigt wird die große Bandbreite: vom standardisierten Wohnen bis zum individuellen und auch innen frei gestalteten Haus-Gesamtkunstwerk.
THE ANIMATED STORY OF JENNY LIND
THE ANIMATED STORY OF JENNY LIND (Schweden 2020), Regie und Drehbuch Ditte Feuk, ist von seiner Struktur her eine biografische Darstellung des Lebens der legendären schwedischen Sopranistin des 19.Jahrhunderts in Form der wichtigsten, in einzelnen Szenen dargestellten Stationen. Deutschen Cinephilen ist Jenny Lind am besten bekannt in der Gestalt von Ilse Werner in einer traurig-fiktiven Liebesgeschichte mit Joachim Gottschalk als H.C. Andersen, betitelt nach ihrem Spitznamen DIE SCHWEDISCHE NACHTIGALL (1941). Da sieht man, wie sehr sie noch in den 1930ern, 1940ern im kollektiven Gedächtnis war, und das, wo doch eigentlich da schon kaum noch einer wusste, wie sie eigentlich wirklich gesungen hat. Ihr wirkliches Erbe ist ja vor allem ihre Lebensgeschichte.
Von Jessica Laurén sind die ebenso realen wie stilisierten Animationen, in denen sich echte Schauspieler bewegen. Das hat etwas von alten Postkarten. Oder auch von künstlichen Stummfilmdekors, in die sich die überdeutliche, stilisierte Spielweise der Darsteller einfügt. Dazu gibt es noch die passende Klavierbegleitung. Zeichnungen, Computeranimation, das gesamte Arsenal kommt sehr abwechslungsreich, beweglich und fließend zum Einsatz.
Und dann gibt es mit der
Stimme des berühmten Opernsängers Thomas Hampson einen Erzähler,
der einerseits passend ist wie ein alter Stummfilm-Erzähler. Aber
die Bilder zu unterbrechen, um den Erzähler ins Bild zu nehmen,
erzeugt jedes mal einen deprimierenden Bruch und wirkt durch die
allzu sichere, leicht selbstverliebte Künstlerattitüde des Maestro
zu übermächtig. Regelmäßig wird die schöne, mitunter zarte
Wirkung der Animationen durch diesen gemütlich an einem Tisch
sitzenden Mann zerstört. Aber vielleicht ist es ja Absicht, wollte
man ja wirklich mehr plauderndes Schulfernsehen als Emotion und
Poesie. Oder Regisseurin Feuk hatte Angst, dass die Animationen von
Jessica Laurén zu sehr das Übergewicht bekommen. Ob Absicht oder nicht, sie
hat es erfolgreich verhindert.