Der Beginn der
US-Prime-Serie TOO OLD TO DIE YOUNG (2019) des dänischen
Filmregisseurs Nicolas Winding Refn, gemeinsam geschrieben mit dem erfolgreichen Comicautor Ed Brubaker, wirkt zunächst eigentlich sehr
sympathisch. Es wird gleich durch übergroße Langsamkeit deutlich
gemacht, dass Refn sich der unaufhörlich dröhnenden, durchmechanisierten, einförmigen
Erzählmaschinierie verweigert, die viel zu viel seelen- und stillosen
Serien-Content erzeugt, der die Menschen im digitalen
Streaming-Cirkus Maximus oft bis zur Verblödung aufsaugt und auslaugt.
Refn setzt dem Ganzen Stil pur entgegen. Leider entpuppt sich Refns
Methode auf Dauer dann doch bloß als ermüdender Ästhetizismus und
Formalismus, ausgedehnt auf gute 10 Stunden. In den ersten beiden Folgen macht man als Zuschauer zwar noch bereitwillig mit, weil man durch den dramaturgischen Aufbau denken könnte,
dass es sich hier um zwei große lange Prologe handelt. Groooßer
Fehler, wie ich feststellen musste, nachdem ich die ganze Serie bis
zum Ende durchgehalten hatte. Denn diese erschien mir rückblickend
wie ein einziger Prolog. Nur für was? Eigentlich für nichts.
Und so spiegelt das
Warten des Anfangs, wo zwei Polizisten bewegungslos an ihrem Auto
stehen, die Situation des Zuschauers wieder. Warten. Dahinter, an der
Wand, ein Bild der mexikanischen Wüste. Gegenüber eine Cantina, man
ist also im südlichen Grenzgebiet. Dass es Los Angeles ist, begreift
man erst später. Langsam gleitet die Kamera über den glänzenden
Chrom des Autolackes, erfreut sich an den in der künstlichen
Beleuchtung glitzernden Farben. Der eine Polizist redet, der andere
schweigt. Der erste schimpft über seine kranke Beziehung. Diese
Plaudertasche wird bald ermordet werden. Schweigen ist also
tatsächlich Gold. Aber vorher gibt es noch sexuelle Belästigung,
Nötigung und finanzielle Erpressung bei einer hilflosen
Autofahrerin.
Der Schweigsame wird von
Miles Teller gespielt. Begrenztes Tempo hat Refn dessen Polizisten
auferlegt. Hier wird die unglaubliche Langsamkeit des Gehens
zelebriert. Teller ist eine Skulptur gewordene, ungerührte
Verzögerung. Gibt man ihm etwas, reagiert er erst nicht, wartet ab,
guckt irgendwann unbeteiligt auf den Gegenstand, nimmt ihn dann erst. Das scheint der
Versuch einer Ikonisierung zu sein, so wie bei Ryan Gosling in Refns DRIVE (2011).
Und eigentlich funktioniert das gut. Teller ist das Beste an der
Serie. Er spielt einen Mörder-Polizisten, der endlich sinnvoll
morden will. Leute, die es verdient haben und nicht etwa die Ehefrau
eines Gangchefs, während die zwei Kinder im Bett schlafen. Einmal
sitzt er mit einem anderen Gerechtigkeitsmörder beim Kaffee am Dinertresen. Sie schweigen. Und
warten. Und trinken nicht mal Kaffee. Aber da geht einem so was schon auf die Nerven.
Die felsige Mexiko-Wüste,
die man im ersten Teil nur auf einem Bild gesehen hat, wird in der
zweiten Folge Wirklichkeit. Hier taucht man in eine debile
Kartellfamilie hinein. Dass der kranke und ewig monologisierende
Kartellboss, dessen auslaufende Scheiße eine zügigere
Geschwindigkeit drauf hat als der Film, ständig einschläft beim
Reden, gibt Refn die Gelegenheit, beim Tempo auch mal auf Pause zu drücken.
Offensichtlich haben Refn und Brubaker ihr Drehbuch nur mit diesem einen Ziel
geschrieben: Verzögern und Zeit schinden. Sollte ja eine Serie werden. Wenn zwei Gangster-Cousins
miteinander im Bett landen, wird es kitschig mit roten Rosen. Die
mexikanische Fiesta ist erstarrt zu bewegungslosen Männern,
dazwischen ein paar Zwangs-Nutten. Bei einem Polizistenmord gibt es
eine langsame Kamerafahrt nach links und dann, es ist ja noch nicht
genug Zeit vergangen, wieder eine Fahrt zurück nach rechts. Und auch
hier gibt es eine Rachefigur: die „Hohepriesterin des Todes“, die
einmal wie aus dem Nichts aus der Wüste aufgetaucht ist.
Und damit hat man alle
Hauptfiguren zusammen. Denn ein wenig Inhalt gibt es ja auch. Ohne
jetzt in die Details zu gehen: Der Film ist eine Rachegeschichte. Es
geht um ethische Rache, ethischen Mord an Frauen- und
Kindesmisshandlern, von mexikanischen Mädchenhändlern bis
US-Produzenten von Vergewaltigungspornos. Das Ganze soll irgendwie
esoterisch, mythologisch, geheimnisvoll sein. Aber eigentlich ist
alles im Kern banal psychologisch. Ein Gangster ist ein Muttersöhnchen,
heiratet eine der Mama ähnelnde Frau und hat eben einen Ödipusknall. Bloß dass alles visuell ziemlich brillant aufgemotzt ist von
Cinematographer Darius Khondji.
Aber nichts wirkt, nichts berührt. Ein klinisch toter Film, der bloß noch zwischendurch zuckt wie ein Aal in der brutzelnden Bratpfanne. Trotz der vielen Wüstenbilder, gibt es hier keinen weiten Horizont, sondern bloß mitleiderregend engstirniges Denken. Den Schuldigen für alles Böse in den USA hatte Refn ja schon außerfilmisch schnell erkannt. Trump sei eine „Handgranate des Faschismus“. Mit solchen klug einprägsamen Sprüchen, der stalinistischen Reichensozalismusmedien entlehnt, empfiehlt man sich heute an der US-Westküste geschickt als opportunistischer Kollaborateur der dekadenten Hollywood- und Big-Tech-Eliten, als echter Woke Mob Supremacist. Frauenhass und Kindesmissbrauch, ja, das ist für einen wie Refn gleichbedeutend mit Trump und Latzhosen-Hillbillys, die die Bibel lesen. Und Polizisten buchstabieren auf dem Revier laut das Wort „F-a-s-c-i-s-m“. Mann, das ist doch mal supersubversiv. Der Revierleiter spielt Ukulele und singt sehr wortkarg von Jesus und Mary. Ja, das ist Christentumssatire auf höchstem Niveau. So in etwa stelle ich mir einen wodkaberauschten Satireabend im Keller des Moskauer NKWD in den 1930ern und 1940ern vor, eingeschoben zwischen zwei Genickschussrunden. Und so unendlich vieles in TOO OLD TO DIE YOUNG ist einfach nur peinlich, vor allem die verklemmten Sexszenen, die wie so vieles hier infiziert sind von freudianisch inspirierter Populärpsychologie. Zum beispielhaften Fremdschämen ist die Szene, in der die Hohepriesterin des Todes an einer kleinen Pistole penisartig herumspielt. Ja, da durfte Fischers dänisches Fritzchen endlich mal seine frühpubertären Fantasien ausleben.