Dem norwegischen Dokumentarfilm THE PAINTER AND THE THIEF (2020) von Benjamin Ree liegt zunächst einmal eine interessante und ziemlich kuriose Anekdote zugrunde. Es ist der Stoff für einen Kurzfilm, der ursprünglich auch aus diesem kleinen Stückchen seltsame Wirklichkeit werden sollte: Die Malerin Barbara Kysilkowa, eine Tschechin aus Prag, wohnt mit ihrem Lebensgefährten in Oslo. Als Bilder von ihr in einer Galerie ausgestellt werden, werden zwei davon nachts von zwei Männern gestohlen. Der Diebstahl ist auf Video festgehalten. Die Diebe werden auch zügig gefunden, aber die beiden harten Junkies können sich angeblich nicht erinnern, was sie mit den Bildern gemacht haben. In Gang gesetzt wird das Weitere dadurch, dass die Malerin selbst Detektivin spielt, weil sie gerade an diesen beiden Bildern sehr gehangen hat. Sie geht also zum Prozess des einen, Karl-Bertil Nordland heißt er, und spricht ihn an. Er sagt, er könne sich an nichts erinnern, verspricht aber, sich als eine Art Wiedergutmachung malen zu lasen.
Die Kamera ist ab einem bestimmten Punkt direkt dabei. Was zeitlich davor liegt, ist selbst aufgezeichnet oder nachgestellt. Man sieht die beiden also beim dritten Treffen in einem Café. Sie zeichnet. Er hat sich, offensichtlich immer noch etwas misstrauisch, in die Ecke gekauert, ist mitgenommen, abgemagert. Jetzt ist ja auch noch eine Kamera dabei. Das bis jetzt Gezeigte wäre also der Kurzfilm, aber dann entwickelt sich daraus ein spannendes, intimes Langzeitporträt, das seinen Reiz aus den Gegensätzen und ganz besonders aus den nach und nach hervortretenden Gemeinsamkeiten der beiden gewinnt. So geht das Anekdotische über ins Allgemeine. Denn die beiden freunden sich wirklich an. Sein Motiv für den Diebstahl ist ja auch im Grunde ein Kompliment: Er ist oft an einem der für die Malerin typischen morbid-schönen Bilder, die im Schaufenster der Galerie zu sehen waren, vorbeigegangen, und es hat ihm so sehr gefallen. Er zeigt ihr seine Wohnung, die Bilder an der Wand, die Sammlung von Totenköpfen. Sie fragt ihn aus über sein Leben und hilft ihm, wenn sie kann. Und vor allem hört sie nicht auf ihn zu malen.
Gerade durch sich anschließende Einzelporträts der beiden gelingt dem Film eine spannende Spiegelung seiner beiden Hauptpersonen. Und da werden die Rollen zwar nicht direkt vertauscht, aber geraten doch durcheinander. Denn man erfährt, dass Karl-Bertil, der eine sehr einsame Kindheit hatte, in vielerlei Hinsicht sehr klarsichtig ist. Vielleicht sogar klarsichtiger als seine Malerfreundin. Und er sagt etwas Intelligentes: Dass sie sich immer nur für seine kaputte Seite interessiert. Nicht für all das, was gut war in seinem Wesen und Leben, seine normale, erfolgreiche Seite. Vor allem, dass er ein begabter Handwerker ist und als eine der wenigen in Norwegen weiß, wie man alte Holzhäuser baut. Aber man erlebt auch seine Selbstzerstörung, die ihn fast umbringt, einen erneuten Gefängnisaufenthalt, der aber gut für ihn ist, und seinen Neuanfang als Krankenpfleger.
Barbara hingegen bleibt stur bei ihrer malerischen Besessenheit und ihrem Prinzip der düsteren Bilder, die sich Ärzte sicher nicht in die Praxis und geschmacksfreie Kapitalisten weder in ihre Büros noch ihre deprimierenden Feng-Shui-Wohnungen hängen. Man sieht Barbara bei einem Anruf, als sie Mietzahlungsprobleme hat und den Tränen mehr als nah ist und wo ihr geantwortet wird: „Wir sind eine kommerzielle Galerie.“ Und ihr perfekter norwegischer Partner schleift sie, die den skandinavischen Feminismus ablehnt, zwecks Optimierung zur Paartherapie, weil sie ein „kleines Kind“ in sich hätte, das auf der Straße spielt. Ihre Antwort: „Aber ich habe in Prag auf der Straße gespielt.“ Das kleine Kind will bloß malen. Und „Mal-Junkie“ nennt sie sich. Und wenn sie diesen Ausdruck benutzt, dann schließt sich der Kreis auf nicht unironische Weise.
Dass THE PAINTER AND THIEF ein schöner Film geworden ist, liegt auch daran, dass er immer an einer gewissen gesunden Oberfläche bleibt und nicht psychologisch-theoretisch zu tief bohrt und auch die Betroffenheit des Sozialrealismus meidet. Dass Barbara in Berlin eine Beziehung gehabt hatte, in der sie sich misshandeln ließ, nur weil sie in diesem Leben den Freiraum des Malens hatte, woraus sie ihr norwegischer Lebensgefährte praktisch lebensrettend herausbrachte, würde manch anderen Regisseur in solche falschen, weil unergiebigen Richtungen gehen lassen. Hier reichen Andeutungen.