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Mittwoch, 15. April 2020

Dag Johan Haugeruds BARN – Viel Worte, wenig Herz

© Motlys

Alles beginnt mit der zunächst schwer zu entziffernden Totalen eines Sportplatzes. Im Mittelpunkt steht ein Fußballtor, hinter dem linken Pfosten liegt eine Gestalt, vermutlich ein Kind. Erwachsene in gelben Sicherheitswesten bemühen sich darum. Ein anderes Kind geht rasch weg und wird dann ein ganzes Stück weiter entfernt von einem Mann eingeholt und zurückgeführt. Der Ort ist eine Schule. Die Diskussionen unter den Verantwortlichen beginnen, und man begreift allmählich die Situation: Ein Kind ist gestorben. Ein zweites Kind war bei ihm. Der Rest ist zunächst unklar. Und auch wenn dieser norwegische Film von Dag Johan Haugerud BARN (2019), also ”Kind” oder ”Kinder”, heißt, tauchen hier als handlungstragende Figuren nur diese beiden Kinder auf: ein toter Junge und ein Mädchen, beide etwa 13 Jahre alt. Dafür wird von den Erziehungs- und Aufsichtsberechtigten – Eltern und Lehrer – pausenlos über Kinder geredet.

BARN ist ein flüssig erzählter Ensemblefilm mit mehreren Hauptfiguren, und um das Ganze einzuordnen, könnte man sagen, er steht in der besten Tradition von Robert Altman und seinen vignettenartigen Themenfilmen wie NASHVILLE (1975) oder PRET-A-PORTER (1994). Haugerud hat ein abstraktes Gesamtbild voller Widersprüche und unterschiedlicher Stimmungen geschaffen. BARN handelt mal von einer Sache, aber dann immer auch gleichzeitig von einer anderen. Der Film entlässt den Zuschauer nicht mit einer Weisheit oder einer Moral, ist kein Thesenfilm, auch kein Film für oder gegen etwas. Er ist ausgezeichnet geschrieben, ohne diese Perfektion als bewusstes Konstrukt auszustellen, wirkt natürlich, spontan, was auch den Darstellern zu verdanken ist.

Darüber hinaus ist, trotz des traurigen Ereignisses im Zentrum der Handlung, das vielleicht größte Kunststück des Films die Erzeugung einer sehr hintergründigen, unaufdringlichen Ebene der Ironie und Satire, bei der die Erwachsenen sich mit ihren eigenen Worten oft genug gewissermaßen selbst zerlegen. Aber, und das ist wichtig, es wird entlarvt, ohne zu denunzieren. Haugerud ist damit weit entfernt von dem zur Selbstgefälligkeit tendierenden Kino eines Ruben Östlund. BARN funktioniert ganz anders und ist tatsächlich ein schöner Film, den man gerne gucken kann. Auf dem Umweg einer sehr subtilen Verstörung hat man hinterher die Welt und sich selbst etwas besser verstanden. Oder genauer gesagt: Man hat ein klareres Gefühl bekommen. Denn von Gefühl und dem Mangel daran handelt BARNET im innersten Kern. Haugerud führt also fort, was ihn beispielsweise schon in seinem preisgekrönten Film von 2012, SOM DU SER MEG (Wie du mich siehst), interessierte.

Die Story kreist um die konkrete Aufarbeitung des Todesfalls, die Erforschung der Ursachen, was sich als schwierig erweist, da das beteiligte Mädchen nicht sehr mitteilsam ist. Eines steht aber nach einiger Zeit fest: Das Mädchen hat den Jungen mit ihrer Tasche geschlagen, woraufhin der umgefallen ist. Und eigentlich könnte hier fast Schluss sein. Denn bei Kindern passiert so was. Selbst unter Freunden. Aber es beginnt die große Ursachenforschung und das gesamte pädagogische, psychologische, politische, gerichtsmedizinische und juristische Arsenal wird aufgefahren. Im Mittelpunkt steht die tragikomische Heldin des Films – die Rektorin. Sie will und muss alles zusammenhalten, aber zwei Mal teilen Kollegen ihr wichtige Details nicht mit. Besonders absurd wird dies im Bezug auf ihren Bruder, der Lehrerkollege an der Schule ist und der verschweigt, dass er an dem Tag seine Aufsichtspflicht verletzt hat und erst nach der Tat auf dem Sportplatz war, weil er einem neuen attraktiven Referendar den Weg ins Sekretariat zeigte.

Die Eltern des Mädchens sind aktive Linke, der bisher alleinerziehende Vater des Jungen gehört einer national-konservativen Partei an. Das riecht ganz kurz nach müde vorhersehbaren Konflikten zwischen altem Klassenkampf und neuer Rechten. Doch Haugerud hat hier eine falsche Fährte gelegt. Es geht hier eben nicht um das Aufeinanderprallen von Gegensätzen, sondern um das Zusammenbringen, um Schnittmengen. Natürlich steht hier vor allem das mehrheitlich links-alternativ geprägte pädagogische Milieu im Mittelpunkt. Das liegt in der Natur der Sache, dem realen Stand der Dinge, in Norwegen wie in Deutschland. Dieses Milieu wirkt in BARNET wie ein großes einiges Kollektiv, aber das scheint nur so. Denn das Einzige, worüber man sich wirklich einig ist, das ist die stramme Haltung gegen rechts, auch wenn Inhalte und Menschen solch eine Haltung rein rational vielleicht gar nicht hergeben. Nur im Zweifelsfall hält man wirklich zusammen. Der geschichtliche Ursprung all dieses linken Denkens wird von einer älteren Frau verarbeitet in einem hübschen Fenstervorhang mit Zeichen wie ”Solidarnosc”, ”gegen Atomkraft” und was alles so seit den 70ern die Gemüter bewegt hat. Dadurch wird es aber auch in einer gewissen anachronistischen Altertümlichkeit offenbart.

Aber, wie gesagt, Haugerud trennt die Extreme nicht. Er bringt sie zusammen, denn die Rektorin hat seit Längerem eine Liebesaffäre mit dem Vater. Was sie aber geheim gehalten hat. Wohlweislich. Sie weiß, was sie dann vom Milieu zu hören bekommt. Und das bekommt sie auch, besonders von der Familie, denn sie ist ja selbst auch Kind, muss sich mit ihrer dominanten Mutter herumschlagen. Drei Generationen sind in BARNET versammelt. Aber jetzt, wo alle von der Beziehung wissen, kann sie auch gleich zu ihm ziehen. Der Rechte ist einfach ein Mensch mit anderen Meinungen, die nicht verboten sind. Ironischerweise hängt er höchstpersönlich bei sich den Vorhang mit linken Symbolen auf, weil er ihn so hübsch findet. Und er ist ein zur Zeit orientierungsloser Vater, der seinen Sohn verloren hat. Aber auch er hatte vor allem theoretische Erwartungen, bildete sich ein, seinen Sohn genau gekannt zu haben. Er spricht von Leistung, vom Herausholen des größten Potentials. Und mit diesem Regeldenken ist er nicht allein.

Denn Haugerud liefert mit BARNET eine emotionale statt einer politischen Systemkritik. Und trifft den Kern damit viel besser. Die Katastrophe besteht nicht in einer politischen Haltung, egal in welche Richtung, sondern in der emotionalen Verkrüppelung einer ganzen Elite, in einer Gesellschaft, in der kein Gefühl, keine Handlung mehr authentisch sind. Empathie ist sozusagen theoretisch geregelt. Die Menschen sind nicht böse – niemand in diesem Film ist das – aber herzlos. Regeln bestimmen alles. Die Rektorin selbst sagt einmal, sie wüsste nichts von Herz. Das sagt sie nebenbei, so selbstverständlich, dass man sich erschrecken kann. Und immer reden alle über Kinder, aber indirekt vor allem über sich selbst, von den eigenen Werten, Vorstellungen und Ideologien. Es wird also unglaublich viel geredet, aber wenig gesagt. Es geht immer um das, was man tun müsste, sagen müsste, fühlen müsste. Das offenbart natürlich eine große Hilflosigkeit, die aber umgekehrt proportional zu dem zur Schau gestellten Selbstbewusstsein steht. Und niemand ist hier sicher vor schmerzhafter Selbsterkenntnis: Selbst der kinderlose junge Lehrer, der meint, er stünde immer auf Seiten der Kinder, erfährt am Ende, dass er das Verhalten des toten Jungen in seinem Unterricht völlig falsch eingeschätzt hat.

Montag, 13. April 2020

Ole Christian Madsens KRUDTTØNDEN – Mensch bleiben


Ole Christian Madsens dänischer Film KRUDTTØNDEN (2020) beruht auf bekannten Tatsachen: Am 14. und 15. Februar 2015 kam es in Kopenhagen zu islamischem Terror durch einen Einzeltäter. Zuerst wurde das Kulturzentrum „Krudttønden” (”Pulverfass”), wo eine Diskussionsveranstaltung zu dem Thema „Kunst, Gotteslästerung und Meinungsfreiheit“ stattfand, mit einem Maschinengewehr beschossen. Vor dem Gebäude wurde der Dokumentarfilm-Regisseur Finn Nørgaard getötet, als er versuchte, den Angreifer zu überwältigen. Am nächsten Abend wurde der vor einer Synagoge Wache stehende Dan Uzan erschossen. Zeitungsartikel und TV-Dokus haben den genauen Weg des Täters natürlich ausführlich und und ausreichend nachgezeichnet, aber Madsen interessiert sich für etwas anderes als die reine Fiktionalisierung dieser Stationen eines Mörders und seiner Opfer. Die Fakten sind nur das Gerüst für einen ganz und gar stillen, unspektakulären Film. Madsen geht unter die Oberfläche und liefert so eine sehr subjektive Interpretation der Ereignisse.

Es geht also um die vier Männer, die in diesen zwei schrecklichen Tagen in Kopenhagen im Mittelpunkt stehen: Die beiden Opfer, der Täter und der Polizist, der den Terroristen erschossen hat. Aber es sind die ineinander laufenden geistigen und biografischen Fäden der vier Männer, ihre Beziehungen und Unterschiede, die dem Film innere Spannung verleihen. Es sind Männer mit Problemen in ihrem Leben, die aber gerade an einem Wendepunkt stehen. Und jeder hat seine eigene Art, mit Schwierigkeiten umzugehen. Nørgaard, der die Zusammenarbeit mit dem Fernsehen nicht mehr aushält und wegen seiner unumstößlichen Ansichten in Streit gerät mit den Freunden aus dem links-liberalen Milieu. Der Polizist mit gesundheitlichen Schwierigkeiten und Familienproblemen. Der trotz stetiger Bemühungen lange Zeit chronisch arbeitslose Uzan. Das trifft auch auf den entlassenen Strafgefangenen und zukünftigen Terroristen mit dem verpfuschten Leben zu, der aber die einfachste Lösung wählt durch eine Art Mord-Selbstmord mit anschließender Freikarte ins Höllen-Paradies. Madsen zeichnet den Weg des Täters akribisch nach, ohne ihm nahezukommen oder identifikatorische Sympathie entstehen zu lassen. Dieser ist eine leere Hülle, die sich im Hass Erlösung wünscht.

Die Story beginnt und endet mit dem von Nicolaj Coster-Waldau gespielten Polizisten, der in einem psychologischen Gespräch die Frage danach stellt, wie man ”Mensch bleiben” könne, und dass er gerne den Täter gefragt hätte, warum er das denn gemacht hat. ”Mensch bleiben”, das klingt vielleicht etwas pathetisch, und eigentlich hätte der Film so ein etwas überdeutliches Motto nicht gebraucht. Andererseits ist es der Polizist, der dies sagt, und wenn man zum ersten Mal im Leben dazu gezwungen war, jemanden zu erschießen, liegt diese ratlose Frage nah. Wie wird man also im Kampf gegen Dämonen nicht selbst zum Dämon? Es fängt ja schon mit den Sicherheitsmaßnahmen an, durch die die Täter Einfluss auf unser Leben nehmen. Es ist schockierend, welcher Aufwand heutzutage für die ungestörte Nutzung einer Synagoge getroffen werden muss.

Um es übrigens zu präzisieren, der Film beginnt nicht gleich mit dem Polizisten, sondern mit Bildern der islamischen Terroranschläge in Paris vom Januar 2015, besonders den auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Regisseur Finn Nørgaard wird sich, wie auch der davon inspirierte Terrorist, solche Bilder später im Film ansehen. Und hier wird der Film sehr persönlich, denn Madsen kannte Nørgaard, hat auch mal mit ihm gearbeitet. Nørgaard ist gewissermaßen der theoretische Träger des Inhalts, vor allem durch die Schlüsselszene des Films, in der er mit links-liberalen Freunden beim Essen sitzt und wegen geäußerten Selbstverständlichkeiten als Rechter bezeichnet wird. Der Tenor ist immer: Wer die Bösen mit Zeichnungen und Satire reizt, ist selbst schuld, wenn ihm etwas passiert. Dabei besteht Nørgaard nur auf dem grundsätzlichen Recht auf solch eine Satire, mehr nicht. Und er entlarvt die linke Heuchelei, wenn er etwa auf die Privatschulen hinweist, auf die diese ihre Kinder schicken. Es war eine gute und wichtige Idee, diese wirklich sehr heftige und fast ausartende Diskussion in den Mittelpunkt des Films zu stellen, denn sonst könnte man den ansonsten so ruhigen, friedlichen und unaggressiven Film KRUDTTØNDEN nicht zu Unrecht als verlogen und verharmlosend betrachten. Aber auf diese Weise geht die Rechnung auf.

Wie sehr Madsen darum bemüht ist, trotz der erzählerischen Nähe zum Terroristen zu ihm auf Distanz zu bleiben, zeigt noch einmal der Vergleich zweier Sterbeszenen. Wenn Nørgaard stirbt, schwenkt die Kamera nach oben in den hellen Himmel. Wenn der Terrorist stirbt, schwenkt sie in den dunklen Nachthimmel. Und dann sieht man ihn von oben und die Kamera geht zurück, immer weiter und nimmt ihn nicht mit. Er liegt da immer kleiner und einsamer auf dem Asphalt. Aber es ist einem egal. Auch wenn man das Ende kennt, ist man erleichtert. Endlich. Er wollte es ja so. Der Film macht aus ihm also wirklich keine tragische Figur.

Dienstag, 3. März 2020

EN HELT ALMINDELIG FAMILIE – Wenn der Papa eine Frau wird


Wenn ein dänischer Film EN HELT ALMINDELIG FAMILIE (2020, dt.: Eine ganz gewöhnliche Familie) heißt, weiß man natürlich sofort, dass diese Filmfamilie vermutlich nicht ganz so gewöhnlich sein wird. Und wenn ein Vater mit Ehefrau und zwei jungen Töchtern meint, er müsse sich jetzt zur Frau umoperieren lassen, dann handelt es sich ja tatsächlich um einen nicht so häufigen Sonderfall. Das Schöne aber an dem Film ist seine inhaltliche und auch ideologische Unaufgeregtheit. Weder Idealisierung noch Politisierung. Hier ist ganz einfach in einer ganz schwierigen Situation ein Mann, der physisch eine Frau werden will und es auch tatsächlich wird. Und dann interessiert sich Malou Reymanns EN HELT ALMINDELIG FAMILIE vornehmlich für die rein persönlichen Auswirkungen solch einer Handlung auf die Kinder, besonders das jüngere 10-jährige.

Ausgewogen ist auch die Stimmung. Es ist keine Komödie, kein Drama. aber das Ganze hat sowohl seine komischen als auch traurigen Seiten. Komisch ist es, wenn der Schwiegervater auf seiner Rede zur Konfirmation der Enkelin die weiblichen und männlichen Pronomen und den alten und den neuen Vornamen des Ex-Schwiegersohnes – Thomas und Agnethe – durcheinanderbringt und auf die Berichtigungen hin grummelt: „Ja, da muss man sich ja auch erst mal dran gewöhnen.“ Vergnüglich absurd wird es, wenn die Mutter vor der Operation und der Ehescheidung eine Abschiedszeremonie veranstalten will, um sich von ihrem Mann zu verabschieden, der dann ja schließlich weg sei. Das finden die anderen aber doch zu begräbnisartig. Wenn die jüngere Schwester für die ältere auf der erwähnten Konfirmation ein Lied singt, dann ist das zum Weinen schön rührend. Und wenn die jüngere sich ein anderes Mal in ihrer Verstörung eine Alkoholvergiftung antrinkt und ihrem weiblichen Vater wutspeiend ins Gesicht den Tod wünscht, ist das sehr traurig. Dass alles dennoch harmonisch im Gleichgewicht bleibt, ist einer subtilen und ruhigen Regie von Malou Reymann zu verdanken und besonders den Darstellern von Vater und Töchtern. Mikkel Boe Følsgaard, als Thomas und Agnethe, spielt mit ganz sparsamen Mitteln und sehr natürlich, jenseits aller postiven und negativen Klischees, eine Figur, die versucht, ihre Würde zu bewahren, ihr Gleichgewicht herzustellen und für sich eine Art Normalität zu finden.

Rigmor Ranthe spielt die ältere Tochter, die harmoniebedürftige Caroline, die die Familie zumindest ansatzweise retten will. Und daher macht sie jede Laune des umoperierten Vaters mit. Kaya Toft Loholt verkörpert Emma, und es ist bemerkenswert, wie dieses kindliche Durcheinander aus widerstreitenden Gefühlen bei ihr auf der Leinwand durchscheint. Denn sie sieht die Brüche in der Fassade, ist hin- und hergerissen. Es gibt beispielsweise eine Sitzung bei der Familientherapie, während der die Kamera hinter Emma positioniert ist, wobei sie sich trotzig einen Schal um den Kopf gewickelt hat, da sie den Vater nicht in Frauenkleidern sehen will. Die ganze Zeit bleibt die Kamera dort, während die anderen Personen nur unscharf zu sehen sind, wo sich ein nicht wenig absurdes Psycho-Theater abspielt. Am Schluss fragt sie ihn: „Bleibst du mein Vater?“ Als der ihr das zusichert, legt sie den Schal ab

Doch so leicht ist es nicht. Agnethe ist für die Kinder zwar da, ist aktiver Teil der Familie, aber die Vater-Wirklichkeit zerfällt schnell. Denn sie spielt jetzt zweite Mutter, auch vor anderen, spielt ganz die weibliche Rolle und tut jetzt alles, was man vermeintlich als Frau so macht. Emma aber will ihren Vater wiederhaben: „Du bist nicht unsere Mutter.“ Da gibt es eine interessante Schlüsselszene in Bezug auf Fußball, wenn Agnethe auf dem Urlaub in Mallorca beim Gespräch mit einer anderen Frau plötzlich so tut, als hätte sie keine Ahnung von Fußball, wo sie es als Vater doch war, der mit Emma immer zum Fußballverein gefahren ist. Und ganz am Schluss fachsimpelt eben die echte Mutter mit Emma über Fußball. Denn nebenbei ist EN HELT ALMINDELIG FAMILIE eine sehr subtile Betrachtung von Rollenbildern  und im Grunde der einfachen Tatsache, dass sowieso jeder in sich Yin und Yang, das Weibliche und das Männliche ins Gleichgewicht bringen muss, ohne es sofort zu verkörperlichen.

Es ist vor allem die Struktur, die die mitunter seltsame und sehr gelungene ambivalente Stimmung des Films erzeugt. Immer wieder werden alte Familienvideos gezeigt, heimelig, gemütlich, alltäglich, aber auch aufschlussreich. Es scheint so, dass der Vater immer filmte, weil er sich außen vor fühlte. Einmal sagt die Mutter so etwas wie, er solle doch mitmachen und nicht filmen. Man sieht fast immer nur die Mutter und die beiden Töchter. Er ist nie wirklich dabei. Auch wenn er sich manchmal selbst filmt. Die Operation wirkt da wie ein Versuch, endlich echt und authentisch zu sein und den richtigen Platz auch in der Familie einzunehmen. Auch am Ende werden uns wieder glückliche Bilder gezeigt, diesmal mit Agnethe und den Töchtern. Wie ein kleines Happy End. Als hätte jeder seinen Platz gefunden. Aber es wirkt gleichzeitig wie eine Kreisbewegung, wie eine Rückkehr zum Anfang. Denn es beginnt mit einem Video, in dem er sich auch selbst filmte und jetzt endet es eben mit einem.

Freitag, 14. Februar 2020

KLOVN – THE FINAL – Irrnsinn, Peinlichkeit und Lügen

© Nutmeg Movies

KLOVN – THE FINAL (DK 2020) ist das letzte Kapitel der Saga um Frank und Casper, den beiden Freunden, Kollegen und Geschäftspartnern. Frank, der Clown, der von einem verbalen und realen Fettnäpfchen ins andere tritt, ob er nun zur Not in ein Katzenklo scheißt, einem moslemischen Jungen von seinen Schinkenbacon-Knabbergebäck etwas abgibt oder sich mit der Nagelfeile der Ehefrau Butter aufs Brot schmiert. Und Casper, der professionelle Lügner und frauenbesessene Casanova, der durch seine wilden Ideen Franks Leben interessanter, aber auch unendlich komplizierter macht, vor allem, wenn es darum geht, die eigenen Missetaten vor Ehefrau Mia geheimzuhalten oder zu rechtfertigen.

Alles fing 2005 an mit einer ersten von im Ganzen sieben TV-Staffeln mit siebzig Folgen, und damit erfanden Frank Hvam und Casper Christensen männliche Peinlichkeit und Zuschauer-Fremdschämen ganz und gar neu. Unverzichtbar dabei Mia Lyhne als Mia, Franks Frau, die irgendwie alles mit einem Seufzen schluckt. Dabei guckt man hinter die Fassade einer wohlbetuchten, bürgerlichen, dänischen Wohnsiedlung mit den Freunden, die man da hat, den feinen Ritualen und Benimmregeln, denen man dort anhängt, und hinter der scheinbar sauber geordneten Normalität scheint der dysfunktionale Wahnsinn durch. In KLOVN ist nicht alles von vorn herein geschrieben, wie bei den normalen Sitcoms, hier wird improvisiert, dadurch entsteht oft ein unnachahmliches Zögern, ein Augenblick der Peinlichkeit, des Exzesses, etwas Spontanes, was unter der Regie von Mikkel Nørgaard quasi-dokumentarisch eingefangen wird. Und über die Frage, wieso diese weltbeste aller Sitcoms es nie von Dänemark nach Deutschland geschafft hat, nicht mal auf einen klitzekleinen Nischensender, könnte man wohl eine soziologisch-psychologische Abhandlung verfassen.

Zwei Spielfilme gab es zwischendurch. KLOVN – THE MOVIE (DK 2010) und KLOVN FOREVER (DK 2016). KLOVN – THE FINAL ist also der dritte Spielfilm zur Serie, selbst AKTE X hat es nur auf zwei Spielfilme gebracht! Doch die vorherigen Kinofilme waren bemüht, sich vom Minimalismus und der Sparsamkeit der Serie durch Schauwerte und ein gewisses Mehr abzusetzen, weshalb ich im Gegensatz zur Serie auch von den Kinowerken nicht so ein großer Fan bin. Aber jetzt geht man hier zurück auf die Essenz, das Wesentliche. In der Hauptsache eben zwei Männer, die nicht etwa nicht erwachsen werden wollen, nein, die gar nicht wissen, wie das geht. Und mit einem größeren erzählerischen Bogen innerhalb von knapp 100 Minuten kommt man den beiden zum Abschluss noch einmal richtig nahe.

Es beginnt mit schmerzhaft realistischer Ehe-Routine zwischen Frank, der sich auf die große Feier zu seinem 50.Geburtstag freut, und Mia, die ein bisschen „hygge hygge“ machen will, was sich zu anstrengender rückenverrenkender Arbeit entwickelt und lieber vorzeitig abgebrochen wird. Man hat sich eingerichtet und friedlich schlafen im Ehebett ist was Schönes. Zum Geburtstag gibt es einen Rasentraktor, und Frank tut nicht mal so, als freute er sich, sondern droht seiner Frau mit einem Staubsauger zu ihrem eigenen Geburtstag, als müsste er ihr etwas heimzahlen. Und als Quittung erfährt er ausgerechnet an seinem großen Tag das, was als Drohung über dem ganzen Film schweben wird: Mia denkt über Scheidung nach. Sie will einen Mann, der sie sieht, der sie begehrt. Damit wird sie die heimliche Hauptfigur, um die sich alles dreht. Franks Welt scheint zusammenzubrechen. Aufheiterung scheint mal wieder von Casper zu kommen, der Frank einen Angeltrip nach Island schenkt, wohinter sich natürlich etwas anderes verbirgt und zwar eine waschechte internationale Schlampen-Party in Reykjavik.

Da Frank den Unterschied zwischen Nacken und Hintern nicht zu kennen scheint, fliegen sie aus dem Kopenhagener Flughafen. Das war's dann mit Island. Aber sie wollen partout nicht nach Hause. Und dann blüht das KLOVN-Universum auf. Der Film dringt noch einmal tief ein in dessen geistiges Zentrum. Da ist einmal der kindlich-fröhliche Irrsinn: Sie ziehen heimlich in eine leer stehende Nachbarwohnung ein, sodass Frank seine Familie beobachten kann. Und da leben die beiden, ernähren sich von einem Monatsvorrat an Frühlingsrollen. Und dann fängt auch noch der Arsch an zu jucken. Ein Vulkanausbruch in Island verlängert die fiktive Reise auf einen geschlagenen Monat. Auf die vorgetäuschte Rückkehr folgen dann die Lügen, wobei sie sich in ihren eigenen Geschichten so sehr verstricken, dass es einfach zu anstrengend wird, weshalb eine Krebserkrankung direkt vorzuziehen wäre. Und das dritte ist die unendlich große, schmerzhafte Peinlichkeit, wenn nach und nach die Lügen aufgedeckt werden. Und ganz am Schluss wird einem klar, dass man besser nicht so viele Fotos auf sein Smartphone packt. Man weiß nie, auf welcher Party man plötzlich gezwungen wird, sie zu zeigen. Das alles ist so wahr, so komisch, tragisch, so echt und auch so grausam. Wie das Leben eben. Ein würdiger, großartiger Abschluss.

Sonntag, 2. Februar 2020

Anders Refns DE FORBANDEDE ÅR – Das Böse in Dänemark

© Space Rocket Nation
 
Seit 15 Jahren schon wollte der dänische Regisseur Anders Refn DE FORBANDEDE ÅR (2020) drehen, dessen internationaler Titel INTO THE DARKNESS ist. Kurzzeitig war sogar eine Fernsehserie im Gespräch, aber daraus wurde nichts. Und das ist gut so. Denn die Wirkung des Films liegt nicht zuletzt in seiner Begrenzung und Konzentration, in der Gleichzeitigkeit der vielen verschiedenen Handlungsstränge, die übereinander gelegt ein beklemmendes Gesamtbild ergeben, das in einer Serie vielleicht zu weit und zu lang ausgedehnt worden wäre. Präzision ist etwas Schönes und gerät angesichts der vielen Serien manchmal in Vergessenheit. Der Filmtitel übrigens ist nicht ganz leicht zu übersetzen, eine Entscheidung kommt einer kleinen Interpretation gleich: die verfluchten Jahre, die verdammten Jahre, die verflixten Jahre, eigentlich alles drei gleichzeitig. Auf jeden Fall sind es Jahre, die man sich wegwünscht, die es so besser nicht gegeben hätte.

Damit, wie die Jahre der Besatzung Dänemarks durch die deutsche Armee und der Zusammenarbeitspolitik normalerweise erzählt werden, hat Refns Film wenig zu tun. Die Erzählweise und Erzählgegenstände, die man aus Filmen über jene Zeit gewohnt ist, findet man hier nicht. Sofort nach dem Krieg war es das Bild des Widerstands, das die Filme prägte, gleich angefangen bei den klassischen Werken DE RØDE ENGE (1945), von Bodil Ipsen und Lau Lauritzen jr, sowie DEN USYNLIGE HÆR (1945) von Johan Jacobsen, wobei gerade ersterer eine sehr subtile Darstellung ist, aber eben doch eine Widerstandsdarstellung. Und selbst wenn die Filme vom Versagen erzählen, geht es nicht ohne Heroismus wie bei den von der Regierung verlassenen Soldaten an der deutschen Grenze in Jütland in 9.APRIL – ANGRIFF AUF DÄNEMARK (2015). Und auch wenn es in TAGE DES ZORNS (2008, dä.: Flammen og Citronen) oder auch der norwegischen Produktion MAX MANUS (2008) um die düstere, ambivalente Psyche von Widerstandskämpfern geht, es geht doch eben vornehmlich um den Widerstand. FUGLENE OVER SUNDET (2016) schildert dann die Rettung der Juden durch die nordseeländischen Fischer nach Schweden hinüber. Und selbst ein Film wie UNDER SANDET (2015) ist zwar die Darstellung einer dänischen Sünde, aber doch unter der Voraussetzung, dass die Dänen nur Opfer waren, die sich aber nicht auf diese Weise rächen sollten. Einen Roman gibt es, der die ganze Besatzungszeit etwas weniger heroisch schildert, das ist der ausgezeichnete „Frydenholm“ (1962) von Hans Scherfig, aber der ist dann wieder kommunistisch gefärbt.

DE FORBANDEDE ÅR beginnt am 9.April 1940 mit einer Silberhochzeit. Natürlich weiß man, was da kommt. Es ist klar, das die fröhliche Familienfeier in Kürze unterbrochen werden wird. Flugzeuge dröhnen denn auch bald über den Himmel. Flugblätter segeln von oben herab, Vorboten der einmarschierenden deutschen Truppen. Und da wird es schon ungewohnt, denn all die so oft schon gesehenen Klischeebilder, diese Standards, auf die verzichtet Anders Refn. Man sieht diese einmarschierenden Truppen nicht. Die Deutschen tauchen überhaupt physisch kaum auf in diesem Film und dennoch ist praktisch jede Handlung ab diesem Tag durch ihre Anwesenheit bedingt. in DE FORBANDEDE ÅR geht es um die Auswirkung auf den Alltag, die jeder am Anfang des Films unterschätzt, als könnte man einigermaßen so weiterleben wie vorher.

Im Mittelpunkt steht eine dänische Musterfamilie voller Zusammenhalt, eine Unternehmerfamilie, die Frau, gespielt von Bodil Jørgensen, stammt aus der Oberschicht, der Mann, Jesper Christensen, hat sich offensichtlich nach oben gearbeitet, kann gleich auf gleich mit seinen Arbeitern kommunizieren. Dazu kommt noch der erweiterte Kreis der Familie mit der Haushälterin und deren Kommunistensohn, befreundet mit einem Sohn des Hauses. Das alles repräsentiert sehr gut das Dänemark jener Zeit. Es geht hier um die normale Mitte der Gesellschaft. Und wenn jeder denkt, er könnte der Alte bleiben, ist es eine Illusion, die befördert wird von der Zusammenarbeitspolitik der Allparteienregierung unter Sozialdemokrat Thorvald Stauning. Pro forma gab es also eine reguläre dänische Regierung, und was passierte, hatte den Anschein der Legalität.

Refn bleibt immer auf Augenhöhe mit den Figuren, filmt sie mit einem gewissen Wohlwollen, ohne nachsichtig zu sein. Er wird auch nie zynisch, erhebt sich nicht moralisch, lüftet nicht didaktisch den Zeigefinger. Es gibt hier nicht eine einzige offen provozierende Szene, die, wie man sagt, überdeutlich den Finger in eine nationale, historische Wunde legt, es kommt alles ganz einfach und scheinbar harmlos daher. Denn hier handelt es sich um eine Tragödie, in der eigentlich zunächst niemand wirklich etwas falsch macht, alles liegt ganz natürlich in der Persönlichkeit der durch und durch netten Figuren begründet. Aber das Unbehagen sickert dann im Laufe des Films immer mehr in den Zuschauer ein. Gleichzeitig werden diese souveränen Menschen immer unsicherer. Ganz besonders der Unternehmer, den Jesper Christensen in einer Mischung aus Autorität und Hilflosigkeit spielt. Das beginnt schon bei seinem kläglichen Selbstbetrug, als er irrtümlich im Zusammenhang mit zwei jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland an das fortdauernde Gelten dänischer Gesetze und seinen Einfluss bei wichtigen Personen glaubt. Die Familie will er retten, die Firma will er retten und steht dann doch sehr alleine da am Ende. Oder am vorläufigen Ende. Eine Fortsetzung des Films wäre möglich und wünschenswert.

Die Mutter, gespielt  von einer immer müder wirkenden Bodil Jørgensen, hingegen will gar nichts mit den Deutschen zu tun haben. Das ist aber kein Widerstand, das ist bloß eine Flucht vor der Wirklichkeit. Selbst dass der älteste Sohn zum Dänischen Freikorps geht und an der deutschen Ostfront mitkämpft, liegt nicht an seiner Nazi-Gesinnung, sondern an seinem Antikommunismus. Schon im Winterkrieg hat er auf der Seite der Finnen gegen die Sowjets gekämpft, da erscheint ihm dies jetzt als logische Fortsetzung. Und besonders ambivalent wird es, als es um die menschlichen Qualitäten zweier junger Männer geht. Der junge Däne schickt seine Freundin mit Unterstützung des Vaters zur Abtreibung und lässt sie dann sitzen. Der deutsche Offizier heiratet eine junge Dänin ganz selbstverständlich. Alles Menschliche bleibt ambivalent und natürlich.

Das ändert nichts daran, dass hier im Hintergrund eine böse, verbrecherische Politik betrieben wird. Aber den typischen deutschen Film-Nazi, auf den man sonst so schön das eigene Böse abschieben kann, gibt es hier nicht. Das Böse müssen die Dänen hier selbst vollbringen. Hier kommen nicht die Gestapo, die SS oder die Wehrmacht, um Kommunisten, Widerständler, Flüchtlinge zu jagen, verhaften, deportieren, erschießen. Das machen ja alles die Dänen und teilweise mit eigentlich gar nicht notwendigem Einsatz. Und es gibt die Männer in der bürgerlichen Elite, die begeistert sind, wie viel Geld sie im Krieg verdienen, wie grandios die Verdienste Deutschlands sind und wie schön es doch eigentlich ist, dass man die internierten Kommunisten endlich los ist. Durch die ganze Gesellschaft, von der Armee bis zur Arbeiterschaft, zieht sich diese Sympathie für die Deutschen, auf deren Sieg man sich zunächst vorbereitet.

Refn betrachtet dabei die äußeren ebenso wie die inneren Konflikte, ohne dabei übertrieben psychologisch oder auch nur ansatzsweise metaphysisch zu werden. Es geht um das Böse, aber alles bleibt sehr konkret, materiell. Dennoch scheint er mit solch einem Film der Generation unter der seinen, mit seinem Sohn Nicolas Winding Refn, mit Lars von Trier, Ole Bornedal, näher zu stehen als seinen eigenen Altersgenossen, von denen er in einem neuen Interview mit der dänischen Filmzeitschrift EKKO spricht: Bille August, Nils Malmros. Und dann versteht man auch ganz gut, wie er die Filme von Trier schneiden kann, auch wenn sie ganz anders sind als seine eigenen. Und wie er nahtlos nicht nur Triers Cutter, sondern seit einigen Jahren auch sein Assistenzregisseur für die Versicherungen sein kann, wenn der Meister wegen Krankheit bei den Dreharbeiten ausfällt.