© Ita Zbroniec-Zajt (Quelle: Nordische Filmtage Lübeck)
Den letzten Tag der
Nordischen Filmtage Lübeck 2019 (29.10.-3.11.) ließ ich mit zwei
schönen und stillen Filmen ausklingen, die zwar grundsätzlich in
die Kategorie Dokumentarfilm eingestuft werden, bei denen aber der
Unterschied zwischen Dokumentation und Fiktion verschwimmt und
ziemlich bedeutungslos ist, so wie bei einem der wichtigsten
Vertreter dieses Prinzips, des Portugiesen Pedro Costa. Eines dieser
beiden Werke war SAISON (Säsong/Ridge, 2019) des Schweden John Skoog,
bisher vor allem als Künstler und Kurzfilmer unterwegs. Dies hier
ist sein erster Langfilm, der wegen seiner gelungenen Visualität
perfekt auf die große Kinoleinwand passt.
Es gibt auf der
norwegischen Internetseite kunstkritikk.com ein an sich interessantes
Interview mit Skoog zu dem Film, aber, passend zu der Seite und
Skoogs Kunsthochschulhintergrund, sehr theoretisch, auch wenn ich
beim Regisseur manchmal etwas Widerstand zu spüren meine, es damit zu übertreiben. Nun ist
es ja so, dass ein Großteil der modernen Kunst ohne ausführliche,
verbale Erläuterung gar nicht selbstständig existieren könnte,
während es gleichzeitig schnell den Weg verstellt auf das, was
tatsächlich da ist. Und das wäre schade bei einem Film wie SAISON,
der auf ganz direkte Art erlebt werden kann.
Zunächst einmal ist er, scheinbar eine ganz banale Feststellung, visuell sehr einfallsreich und poetisch. Und das hat durchaus Bedeutung, da dies beim
Thema Land und Landwirtschaft eigentlich gar nicht mehr so
selbstverständlich ist, schon gar im Zusammenhang mit der modernen, maschinisierten Arbeitswelt. Das, was noch bis in die 50er, 60er nicht nur
in deutschen Heimatfilmen unterhaltsam romantisiert und ästhetisiert
wurde, hat etwas Klischeehaftes bekommen. Natürlich gibt es noch hübsche Aufnahmen von Feldern und Dörfern im Kino und im Fernsehen, aber es ist so oft reduziert auf reine Postkartenästhetik. Das Ursprüngliche ist verloren gegangen, was man etwa in einem Film wie David Lynchs STRAIGHT STORY (1999) findet, aber auch das ist ein nostalgischer Film. Und dann die ungewollte Banalisierung. Unsere Wahrnehmung wird geprägt durch Bauernproteste, EU-Subventionen, Nachwuchssorgen
und zugehörige TV-Verkupplungsshows, Ökologie-Diskussionen oder gar
seltsame Blut-und-Boden-Vorwürfe an das ganze klassische Genre
Heimatfilm. Medial verarbeitet wird es heute gerne skurril oder als
düstere Sozialdramen und Krimis, gerne bevölkert von reaktionären
Hinterwäldlern. Die letzten beiden skandinavischen Bauernhof-Filme,
die ich gesehen habe, betonen sehr das Triste und Anstrengende dieses
Lebens in einer farblosen und ganz und gar nicht grasgrünen und
getreidegoldenen Welt: Zum einen Jens Assurs schwedisches
Gegenwartsdrama KORPARNA (Die Raben, 2017) und zum anderen Michaels
Noers historischer Film aus Dänemark FØR FROSTEN
(2018), beide übrigens auch auf den Filmtagen ihres Jahrgangs zu sehen. Vielleicht hat das auch mit einem vorwiegend städtischen
Lebenshintergrund vieler Künstler zu tun.
John Skoog jedenfalls ist
vom Lande, stammt direkt aus dieser Gegend, und wenn sein Film mit einem kleinen Kind beginnt, das
durch saftig gelb-grün schimmernde Wiesen wandert, um zu anderen
Kindern zu kommen, die spielen und baden, dann kann man sich
zumindest vorstellen, dass das auch eine verklärte Erinnerung ist.
SAISON dauert etwa 75 Minuten und ist dabei sehr abwechslungsreich,
als wollte Skoog austesten, was man inhaltlich, visuell,
atmosphärisch aus der Gegend herausholen kann. So gibt er, wie
nebenbei, dem Leben und der Landwirtschaft, dem Dorf und dem Bauernhof
einen ursprünglichen ästhetischen Wert zurück. Schönheit und
Geheimnis entdeckt er in vollen Farben rund herum um die Arbeit in der Erntesaison, für die polnische Helfer angereist sind. Bilder von der Fähre leiten
den Film ein. Einer zu
tief gehenden Geschichte weicht Skoog aus aus, bleibt mit Andeutungen
an einer scheinbaren Oberfläche. Der Film besteht so aus
einzelnen Mosaiksteinen, und dazwischen liegen trennende Fugen, aber
dennoch entsteht ein abstraktes Gesamtbild, und trotz der bewussten
Brüche zwischen den Einzelteilen entsteht ein gewisses
unterirdisches Fließen innerhalb des Ganzen, weil dann doch das eine
mit dem anderen zusammenhängt, wenn auch nicht auf eine klassisch narrative
Art und Weise.
Typische Heimatelemente stehen auf Mystery-Art neben
dem Fremden, Maschinisierten,
Digitalisierten, Mysteriösen,
wobei sich alles miteinander verwebt. Unter den Erntehelfern ist nur
eine Frau, offensichtlich stumm, die besonders gut mit Tieren kann.
Während die Männer im Raum alles verwüsten, schnappt sie sich
schnell die herumlaufende Katze und wirft sie nach draußen. Oder da
sind zwei Kühe, die ihr zu gehorchen scheinen. Sie hat auch Alpträume. Dann sind da die Bilder der Maschinisierung, im
klassischen Heimatfilm selten ein ästhetisches Element, eher ein
inhaltliches der Modernisierung und Erneuerung. Nur jemand wie
Eisenstein konnte sich, wie in DIE GENERALLINIE (1929), visuell ekstatisch
für eine Melkmaschine und Traktoren begeistern. Ein Mähdrescher
wirkt wie ein großes schwarzes Loch, in den das Getreide
hineingesaugt wird. Da ist die scheinbar einsam und selbstständig
arbeitende Baumschneidemaschine vor dem dunklen Waldhintergrund. Es
gibt extreme Licht- und Schatteneffekte bei der Nacharbeit. Wie ein
Koloss, der aus dem Inneren der Erde bricht, erhebt sich eine
Maschine als Silhouette gegen den Horizont. Das wirkt unheimlich,
aber doch so, dass man gerne hinguckt. Vielleicht ist es auch ein
Blick in die Zukunft, in der
eine menschenleere Landwirtschaft erahnt werden kann.
Es gibt aber auch die Verwurzelung in der Gegenwart, wo der Film in vielen Szenen
dicht an den Menschen ist, vor allem in ihrer Freizeit. Ein
gemeinsames Fest mit Gesang. Ein junger Pole und die Frau bleiben als
Außenseiter abseits. Der derbe, volkstheaterhafte Humor fehlt auch
nicht. Zwei schwedenerfahrene Polen versuchen, einem jungen Polen,
der eigentlich nur die Haare geschnitten haben will, das schwedische
Wesen nahezubringen, denn diese düster-polnische Romantik ginge gar
nicht: Er soll freundlich, aufrecht, selbstsicher sein, wovon er überhaupt nicht begeistert ist. Schwedische junge Männer saufen im Wald, einer übertreibt
es bis zum Koma, woraufhin man ihn im Wald seinen Rausch ausschlafen
lässt. Als er aufwacht und sich aus dem Wald schleppt, schließt der
Kreis des Films sich, denn er stößt auf die zwei individualistischen
Kühe, die nicht zur Herde laufen wollen und von denen am Anfang aus
dem Off die Rede war.
Diese
Geschichten aus dem Off beziehen denn auch die Vergangenheit des
Ortes mit ein. SAISON spielt im etwa 30 Kilometer von Helsingborg entfernt liegenden kleinen
Örtchen Kvidinge, das in der
südschwedischen Region Skåne liegt. Den
Akzent dieser Gegend hört man einmal sehr stark, wenn aus dem Off
ein älterer Mann erzählt, wie sie einmal vor langer Zeit
Helikopterflüge über die Gegend veranstalteten. Und
filmgeschichtlich ist Skåne ja die Gegend
des beliebten schwedischen Heimatfilm-Helden und
Volksschauspielers Edvard Persson (1888-1957),
der irgendwo zwischen Klischee und
Wirklichkeit zum Inbegriff des typischen
Bewohners der Region wurde.
Aber hier singt kein Edvard Persson mehr hübsche Lieder wie „Vi
klarar oss nog ändå”,
”Det gamla trädet“ oder „Söder om
landsvägen“. Heute stampft Techno-Musik zu einer
großen Kamerabewegung über die fetten, weiten, welligen Felder. Das
ist die moderne Musik, die zum technisierten Bauernhof und in diese Zeit
passt. Direkt danach erleben Kinder ihre eigene Welt in
digitalisierter Form als Landwirtschafts-Videospiel, als
Landwirtschaftssimulator. Und das ist dann die moderne Wahrnehmung.
© Ita Zbroniec-Zajt (Quelle: Nordische Filmtage Lübeck)